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Schattenfluegel

Schattenfluegel

Titel: Schattenfluegel
Autoren: Kathrin Lange
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Nachmittag, den sie damit verbracht hatte, für eine Mathearbeit zu lernen. Und dann hatte plötzlich ihr Handy geklingelt. Genervt von der Störung hatte sie es einfach ausgeschaltet.
    Seitdem hatte sie verzweifelt versucht, diese Erinnerung zu verdrängen. Warum nur musste sie gerade heute immer wieder an all das BÖSE denken, das damals geschehen war?
    Es klopfte an ihrer Zimmertür und Kim war erleichtert über diese Ablenkung.
    »Kim?« Natürlich war es Sigurd. »Darf ich reinkommen?«
    »Wenn’s sein muss«, gab Kim zurück, klappte das Tagebuch zu und stellte es rasch zurück zwischen die anderen Bände auf dem Regal. Sigurd öffnete die Tür und schob seinen Kopf durch den Spalt ins Zimmer. »Ich habe Johanna am Telefon«, sagte er. »Willst du mit ihr sprechen?«
    Johanna war Kims Mutter.
    Kim nickte, auch wenn sie sich zwingen musste, dabei nicht die Augen zu verdrehen. Vermutlich hatte Sigurd ihre Mutter angerufen, weil er sich Sorgen um Kim machte. Er kam ins Zimmer, gab ihr den Hörer und zog sich so lautlos zurück wie ein diskreter Butler in einem alten Schwarz-Weiß-Film.
    »Hi, Mom!«, sagte Kim. »Wie geht’s dir?«
    »Hallo, mein Schatz!«, hörte sie die Stimme ihrer Mutter. »Besser. Es geht jeden Tag ein bisschen aufwärts.«
    Kims Mutter hatte sich beim Skifahren an Ostern eine so komplizierte Knieverletzung zugezogen, dass sie nach der Operation für ein paar Wochen in eine Reha-Klinik eingewiesen worden war. Das war auch der Grund, warum sie Sigurd gebeten hatte, sich um Kim zu kümmern, obwohl die beiden schon seit …
    … DEM BÖSEN …
    … zwei Jahren kein Paar mehr waren.
    Kim seufzte erneut. Heute war offenbar so ein Tag, an dem alles und jeder sie an Ninas Tod erinnerte. Es war wohl besser, sich damit abzufinden und nicht länger darüber nachzudenken.
    »Was ist los, Schätzchen?« Besorgnis lag in der Stimme ihrer Mutter, die das Seufzen natürlich gehört hatte.
    »Nichts«, behauptete Kim und fügte schnell hinzu: »Hast du angerufen oder Sigurd?«
    »Sigurd.« Es knackte in der Leitung, dann knisterte es leise. Kim stellte sich vor, wie Johanna in ihrem kleinen Zimmer in der Klinik auf dem Bett saß, das verletzte Bein hochgelegt und das Handy ans Ohr gepresst. »Ist bei euch alles in Ordnung?«
    »Ja.« Kim kniff die Lippen zusammen. »Ich hatte Bio und die blöden Bildtafeln haben mich ein bisschen … durcheinandergebracht.«
    Am anderen Ende der Leitung ertönte ein leiser Fluch. »Ich habe deinen Lehrer jetzt mindestens schon drei Mal gebeten, diese verdammte Tafel abzunehmen, aber offenbar muss ich mich direkt an den Schulleiter wenden!«
    »Nein, Mom!«
    »Doch, Schätzchen! Es kann doch nicht so schwer sein, so eine Schautafel abzuhängen! Immerhin weiß in der Schule jeder, was passiert ist, da kann man doch ein bisschen Rücksicht …«
    »Es ist zwei Jahre her, Mom!« Kim spürte, wie sich ihr Unterkiefer vor lauter Anspannung verkrampfte. »Außerdem hat die Polizei die Sache mit der Libelle nie öffentlich gemacht. Warum sollten die in der Schule also verstehen …«
    »Ach, Mist! Ich weiß ja …«
    Kim unterbrach ihre Mutter. »Warum hat Sigurd dich angerufen?« Zu ihrer Erleichterung ließ Johanna sich auf den Themenwechsel ein.
    »Er macht sich ein bisschen Sorgen um dich.«
    »Er macht sich schon Sorgen, wenn ich nur mal barfuß über den Flur laufe.«
    Kims Mutter lachte. »Stimmt! Er war schon immer überfürsorglich.«
    »Warum muss er hier sein? Ich komme ganz gut allein zure…«
    Diesmal war es ihre Mutter, die sie unterbrach. »Kommt nicht infrage! Ich bin noch mindestens vier Wochen in dieser blöden Klinik! Du wirst nicht die ganze Zeit allein zu Hause sitzen.«
    »Aber Sigurd …«
    »… ist ein guter Kerl!«, würgte Kims Mutter alle Proteste ab.
    Kim wurde zunehmend genervt und wütend. »Ja, klar«, hörte sie sich selbst sagen. »Darum hast du ihn ja auch in die Pampa geschickt!«
    Einen Moment lang war es ganz still am anderen Ende. Alles, was Kim hörte, war das leise Knistern in der Leitung.
    Ihre Mutter und Sigurd waren zusammen gewesen, seit Kim denken konnte. Sigurd war zwar nicht ihr leiblicher Vater und auch nicht der von Nina, aber er hatte sich so benommen, als sei er es. Ihren richtigen Vater kannte Kim nicht. Zwar hatte sie ab und an das Bedürfnis gehabt, etwas über ihn zu erfahren, ihn vielleicht auch mal zu treffen, aber Johanna hatte sich stets geweigert, ihr zu sagen, wer er war. Bisher hatte Kim das auch nicht weiter schlimm
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