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Schattenbrut (German Edition)

Schattenbrut (German Edition)

Titel: Schattenbrut (German Edition)
Autoren: Susanne Seider
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durch die Eingangspforte der Kapelle, während die Musik in Billys Kehle drang und sie zu zerreißen drohte.
    »Oh mein Gott, Billy!«
    Billy erschrak, als Tamy plötzlich mit geschwollenen Augen neben ihr stand und ihre Arme ausbreitete. Sie ließ sich von ihr umarmen und lächelte dabei verkrampft. Billy war ein kleiner Mensch, daran gab es keinen Zweifel, doch in Tamys Nähe hatte sie sich schon früher wie ein Zwerg gefühlt. Ihre Nase befand sich auf der Höhe von Tamys Brust, und sie hätte schwören können, dass es dort nach Mottenkugeln roch. Tamy hing wie ein riesiger Affe an ihr. Billy klopfte ihr leicht auf den Rücken, bis Tamy endlich von ihr abließ.
    »Danke, dass du gekommen bist«, sagte sie.
    Billy erkannte plötzlich die Frau neben Tamy. Erleichtert lachte sie auf und umarmte Clarissa.
    »Du hast dich überhaupt nicht verändert!« Billy schob die alte Freundin eine Armeslänge von sich und musterte sie gründlich. Clarissa war immer die Hübscheste der vier Mädchen gewesen, doch die Jahre hatten sie noch anmutiger gemacht. Ihre blonden Haare hatte sie raffiniert nach oben gesteckt, die schlichte Perlenkette bildete einen eleganten Kontrast zu dem schwarzen, langen Kleid.
    Clarissa lachte sie warm an. »Du bist auch noch die Alte.« Sie grinste. »Bis auf das Outfit.«
    Billy warf einen Blick an sich herunter und schmunzelte ebenfalls. »Ich hätte heute Nachmittag einen Termin vor Gericht gehabt«, erklärte sie.
    »Tamy hat mir erzählt, dass du Anwältin bist.« Clarissa nickte anerkennend. »Eigentlich passt das recht gut zu dir.«
    »Eigentlich?«, fragte Billy. Es gab keinen Job, der ihr mehr gelegen hätte.
    »Es entspricht deiner Streitlust.« Clarissa zwinkerte. »Aber ich war sicher, dass aus dir eine Musikerin wird, mit allem, was dazugehört.«
    Rockmusik war Billys Leidenschaft gewesen und das Einzige, das sie mit Tamy gemeinsam gehabt hatte.
    »Es war nur ein Mädchentraum«, gab Billy eine Spur zu laut zurück. Sofort bekam sie einen Knuff von Tamy, die sich peinlich berührt umsah.
    »Könnt ihr etwas leiser sein?«, wisperte sie nervös.
    »Schon okay, Tamy. Niemand achtet auf uns«, beschwichtigte Billy und wandte sich wieder Clarissa zu. »Und was machst du?«,
    »Siehst du doch, ich bin schön.« Clarissas helles Lachen hallte von den Wänden und Tamy sah aus, als wolle sie im Boden versinken.
    »Mein Mann hat genug Geld und ermöglicht es mir, mies bezahlte Tauchkurse zu geben.«.
    »Ich dachte, du lebst in Deutschland?«
    »Ich wohne bei Bruchsal«, stimmte Clarissa zu. »Und ich tauche im Baggersee. Zumindest vorläufig.«
    »Können wir uns später unterhalten?«, zischte Tamy und beugte ihren Kopf dabei vor wie die Hexe, die das Feuer im Ofen prüft. »Die anderen sind schon draußen.«
    »Die rennen alle dem Sarg hinterher, wir werden sie also einholen«, gab Billy bissig zurück und sah Tamys schimmernde Augen. »Lasst uns gehen«, wandte sie schließlich ein und hielt Tamy versöhnlich den Arm hin. Tamy lächelte schwach und hakte sich bei Billy ein, während Clarissa vorweg lief. Wie erwartet stand ein Teil der Trauergäste noch auf dem Vorhof der Kapelle und wartete darauf, sich auf dem schmalen Weg einzuordnen, der sich auf der anderen Seite der Parkplätze zu den Gräbern schlängelte.
    »Hatte Julia Kinder?«, fragte Billy leise zu Tamy gewandt.
    »Nein, weder Kinder noch einen Mann.« Tamy lachte bitter. »Offenbar hat es keine von uns zu Kindern gebracht.«
    Billy schluckte.
    »Julia hat bis zu ihrem Tod bei ihren Eltern in Bad Bergzabern gewohnt. Sie hat sich verändert seit damals. Lebte zurückgezogen.«
    Clarissa drehte sich nach hinten. »Hattet ihr die ganzen Jahre Kontakt?«, fragte sie und blieb stehen, bis die beiden Frauen auf ihrer Höhe waren.
    »Nein, ich habe sie nach dem Abitur nur zweimal zufällig getroffen. Erst, als ich vorgestern ihre Mutter anrief, habe ich erfahren, dass sie noch hier gelebt hat.«
    »Und woher wusstest du von ihrem ... Unfall?« Billy brachte das Wort >Tod< nicht über die Lippen.
    »Aus der Zeitung.«
    Die drei Frauen blieben stehen und ließen die anderen Trauergäste vorausgehen, bis sie selbst als Letzte der Menge dem Trauerzug folgten.
    »Wo lebst du denn, Billy?«, flüsterte Clarissa.
    »Emmendingen.«
    »Immer noch?«
    »Seit ein paar Monaten wieder«, erwiderte Billy. Zusammen mit ihrer Mutter war sie damals in den Schwarzwald gezogen, fast direkt nach den Ereignissen an der Schule, was für sie ein höchst
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