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Schattenbrut (German Edition)

Schattenbrut (German Edition)

Titel: Schattenbrut (German Edition)
Autoren: Susanne Seider
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würde sich dadurch eine neue Bedeutung erschließen. Tamara Winkler. Tamy, die Nervensäge. Sie ließ die Lippen los, steckte dafür den kleinen Finger in den Mund und malträtierte ihn mit den Zähnen. Tamy würde wieder anrufen. So war Tamy. Sie sah auf die Postkarte, die am Fuß ihrer Leselampe klebte. >Tu`s gleich<, war darauf geschrieben. Laura hämmerte bereits in ihre Tastatur. Getrieben von einer plötzlichen Wut stand Billy auf, um die Tür zuzuknallen, setzte sich wieder und griff nach dem Telefon
    »Hallo«, meldete sich eine vertraute Stimme, bevor das erste Läuten verklungen war.
    »Hallo Tamy.«
    »Billy!«, kreischte Tamara. »Ich versuche seit gestern, dich zu erreichen.«
    »Ich hatte einen Termin.« Billy bemühte sich nicht, ihre Unlust auf dieses Gespräch zu verbergen.
    »Ich muss dringend mit dir sprechen. Wo hast du gesteckt?«
    »Meinst du die vergangenen 20 Jahre oder die letzten zwei Tage?«, fragte Billy zynisch.
    »Ich meine ...«, begann Tamy, doch Billy ließ sie nicht aussprechen.
    »Ich muss arbeiten, also sage mir bitte, was du willst.«
    Einige Sekunde lang hörte sie nur das heisere Atmen am anderen Ende der Leitung.
    »Mein Anruf kommt ungelegen, oder?«
    Sie sah Tamys teigiges Gesicht mit den verzagten Augen vor sich und schämte sich plötzlich für ihr Verhalten. »Entschuldige, Tamy. Aber ich habe jede Menge zu tun. Wir können gerne einmal reden, aber nicht heute.«
    »Julia ist tot. Ein Unfall.«
    Billy schluckte, und einen Moment sprach keiner etwas.
    »Was ist passiert?«, brach Billy schließlich das Schweigen.
    »Sie fuhr auf der Autobahn. Linke Spur. Ein LKW scherte aus und drängte sie von der Straße gegen eine Lärmschutzmauer. Einfach so.« Ihre Stimme bebte. »Julia wurde regelrecht zerquetscht.«
    »Das tut mir leid.«
    »Ausgerechnet Julia!« Ein ersticktes Schluchzen.
    Die Tür ging auf, Laura rauschte herein und machte sich an einem Aktenordner in Billys Regal zu schaffen. Billy taxierte sie wütend, doch Laura hatte ihr den Rücken zugedreht.
    »Das ist schrecklich. Aber warum rufst du mich an?«
    »Du willst doch sicherlich zu ihrer Beerdigung.« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. »Sie findet heute Nachmittag in Bad Bergzabern statt.«
    Laura war offenbar fündig geworden, denn sie fingerte ein Dokument aus dem Ordner und stellte ihn zurück.
    »Es tut mir leid, dass ich erst gestern versucht habe, dich anzurufen. Ich war nicht sicher, ob ich es tun soll. Wirst du kommen?« Tamys Schluchzen war verebbt, ihre Stimme klang brüchig.
    Billy griff nach einem Bleistift und malte einen Kringel unter Tamys Namen. »Nein. Es tut mir leid, aber ich habe heute Nachmittag einen Gerichtstermin.«
    »Verschoben«, flötete Laura und ging zurück zu ihrem Schreibtisch, während sich Billy fragte, welchen Abdruck der Stift in Lauras spitzem Po hinterlassen würde.
    »Heißt das, du kannst kommen?« Tamy fiepte wie eine Katze.
    »Machen Sie bitte die Tür zu!«, rief Billy.
    »Was?«, fragte Tamy.
    Laura stolzierte zur Tür und ließ sie lauter knallen als zuvor Billy.
    »Ich meinte nicht dich, Tamy. Hör zu, ich muss arbeiten, und ich habe Julia seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen.«
    »Nach deinem Wegzug damals ist unsere Clique auseinandergefallen, und ich fürchte, dass Julia nie neue Freunde gefunden hat.«
    Billy zog den Stift hinter ihrem Ohr hervor und trommelte damit auf ihren Schreibtisch.
    »Ich finde den Gedanken schrecklich, dass außer Julias Familie niemand kommt, um sie auf dem letzten Weg zu begleiten«, jammerte Tamy weiter. »Ich glaube, dass wir ihr das schulden.«
    Billy stieß die Luft durch ihre Schneidezähne. Julia war schon damals ein boshaftes Wesen gewesen, und sie wunderte sich nicht, dass sie keine Freunde hatte. Sie selbst hatte Julia nie leiden können.
    Du hast sie nur benutzt. Genau wie Tamy .
    »Was ist mit Clarissa?«
    »Die kommt auch«, gab Tamy zurück.
    Billy warf einen Blick auf den Haufen Post. Er war deutlich einladender als Julias Beerdigung. Aber es war ihr unmöglich, Tamy zu enttäuschen. Außerdem würde Clarissa kommen. »Also gut. Aber ich werde nicht lange bleiben.«
    Tamy erging sich in einem Schwall aus Freudenbekundungen. Billy fragte schnell nach der genauen Zeit und knallte schließlich grußlos den Hörer auf. Dann stützte sie das Kinn auf ihre rechte Hand. Das schulden wir ihr, hatte Tamy gesagt. Erinnerungsnebel stoben durch ihren Kopf, nie vergessene Bilder von Jugend, Macht und
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