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Schattenbruch

Schattenbruch

Titel: Schattenbruch
Autoren: Markolf Hoffmann
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zerlumpter Kleidung. Ein Dickwanst winkte Tarnac mit seinem Turban zu; ein anderer Mann mit drahtigem Kinnbart rollte die Augen und stieß wilde Flüche aus, die der König jedoch nicht verstehen konnte. Ganz offenbar machten sie sich über ihn lustig, hatten bemerkt, daß er die Kontrolle über die Galeere verloren hatte.
    Die Igrydes zückten ihre Bogen, legten Pfeile an die Sehnen. Doch der König gebot ihnen Einhalt. »Nein … kein Blutvergießen! Die Quelle würde es uns übelnehmen, und dann wären wir verloren.« Stirnrunzelnd beobachtete er das näher kommende Schiff. »Wie konnten sie sich an meine Fersen heften? Sie gefährden den Übertritt! Ich will wissen, wer dahintersteckt!«
    Ringsum spritzte Wasser von der Seeoberfläche empor, so wie Regentropfen, die in die falsche Richtung stoben. Bald war Tarnac vollkommen durchnäßt. Und nun hörte er die Stimme der Quelle. Die Woge der Trauer, sie rauschte und sang, sie weinte und pfiff und zischte, begrüßte und warnte den König, und zürnte ihm, da er den schwarzen Schlüssel zu ihr gebracht hatte. Ein Knirschen ging durch die Galeere; sie drohte unter dem Druck der Wellen zu bersten.
    »Solange diese Fremden in unserer Nähe sind, kann der Übertritt nicht gelingen, und zögern wir länger, zerbricht uns das Schiff!« Tarnacs Augen funkelten. »Gebt ihnen ein Zeichen. Ich muß wohl oder übel mit ihnen verhandeln.«
    Meeresrauschen, starker Wellengang … Jundala Geneder spürte, wie die Barke der Schwarzen Erkenntnis vom Wind vorangetrieben wurde: hörte die Segel flattern, die Wanten singen. Doch sehen konnte sie nichts; um sie nur Finsternis, denn sie war blind, ihr Augenlicht für immer erloschen.
    Und wieder dachte sie an Baniter, ihren Mann … an seine grünen Augen, sein Lächeln, seine weichen Hände, die sie so gern auf ihrem Körper gespürt hatte. Wo war er in diesen Stunden? Lebte er noch, und hatte er in Erfahrung gebracht, wohin sie, seine Gemahlin, verschleppt worden war? Hatte er die falsche Schlange Sinustre Cascodi entlarvt, die den Südseglern befohlen hatte, Jundala aus Vara zu entführen?
    Ihn noch einmal zu sehen, noch einmal zu spüren,
dachte sie voller Verzweiflung,
und meine drei Kätzchen … ich würde alles dafür geben, alles!
Und zugleich war es ihr, als wäre ihre Verschleppung durch die Südsegler, ihre Blendung durch Mhadags Hand nur die gerechte Strafe für ihre Vergehen: für den Mord an dem jungen Mädchen, dem Kaiser Akendor verfallen gewesen war - Ceyla Illiandrin, die Baniters Plan, den Kaiser mit der arphatischen Königin zu vermählen, im Weg gestanden hatte. Jundala war es gewesen, die den Mord an Ceyla in Auftrag gegeben hatte; nun bezahlte sie dafür.
Aus Mord entsteht immer nur neuer Mord …es war mein eigenes Verschulden.
    Doch noch während sie mit ihrem Schicksal haderte, lichtete sich die Finsternis. Sie sah das bleiche Gesicht des Schiffsjungen Mhadag; seine goldenen Augen glommen dicht vor ihr auf. Sah die Südsegler, die auf dem Deck erschienen waren, die Hände erhoben, als priesen sie die Barke wie einen Gott.
    »Es ist soweit, Fürstin«, hörte sie Mhadag sagen. Er griff nach ihrer Hand. »Tagelang haben wir die Barke treiben lassen, damit sie den Weg findet. Und nun … spürt Ihr die Küste? SEHT Ihr sie?«
    Sie tastete mit der linken Hand nach ihrem Gesicht. Die Berührung der Augenbinde verursachte diesmal keine Schmerzen. Zaghaft streifte Jundala sie ab. Blinzelte … ja, sie BLINZELTE! Spürte ihre Augenlider … und um sie erstrahlte die Umgebung in sattem Gold, ein Blitzen und Funkeln. Das Meer … die Wellen … die Barke! Sie erkannte die Segel und Masten, das stolze Bugspriet, und wo sie zuvor das schwarze Metall der Barke gefürchtet hatte, war sie nun gebannt von dem Glanz, in dem es erstrahlte.
    Und in der Ferne lag eine Küste! Eine zerrissene, dunkle Linie, die sich am Horizont entlangzog: festes Gestein. Die Barke strebte ihm entgegen. Jundalas Herz pochte vor Aufregung, und sie erwiderte den Druck von Mhadags Hand.
    »Der Südkontinent!« rief sie. »Eure Karte hat die Wahrheitverkündet!«
    Ringsum wisperten die Südsegler, ihre Stimmen zu einem Chor vereint. »Die ewige Suche ist endlich vollendet; die Schriften enthüllten das eherne Land. Die Barke, sie trägt uns schon bald an die Küste, mit der uns das Schicksal seit jeher verband.«
    Der Wind blähte die Segel, und sie wurden nochmals schneller, jagten durch die Wellen auf den Kontinent zu. Die Südsegler machten keine
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