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Schattenauge

Schattenauge

Titel: Schattenauge
Autoren: Nina Blazon
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machte einen Schritt in eine Gasse. Sie sah nur noch ein schwarzes Hosenbein hinter einer Hausecke verschwinden. Das Seltsame war, dass die Person offenbar einen Schritt rückwärts gegangen war, als wollte sie sich rasch verbergen.
    »Zoë? Was ist?«, rief Paula im Gehen.
    Zoë fuhr herum und sah, dass die Ampel auf Grün umgesprungen war und die Leute schon halb über die Straße waren. Sofort beeilte sie sich, zu Paula aufzuholen.
    »Nichts«, sagte sie. »Ich dachte nur, jemand hätte uns beobachtet.«
    Der Sportplatz, der zwar zur Schule gehörte, aber einige Straßen davon entfernt lag, war nicht besonders groß. Kein Wunder: Er war der ständig wachsenden Stadt abgetrotzt, eingeklemmt zwischen einer Mauer, hinter der sich ein Verladebahnhof befand, und den Rückseiten von zwei Gebäuden. Es gab nicht viel: einen Basketballplatz und die schmale Laufbahn, die um das Spielfeld herumführte. Kein Grün. Die Hochstraße, die in einer Schleife ein Stück über das Spielfeld ragte, legte einen Lärmteppich und an heißen Tagen den staubigen Dunst von Abgasen über das Feld. Aber dennoch wurde Zoë von einem überwältigenden Gefühl von Vertrautheit überwältigt, als das Orange der Tartanbahnen in Sicht kam. Die Gruppe, die Frau Thalis hochtrabend »mein Marathonteam« nannte, stand am rechten Ende der Bahn und machte sich bereits warm. Frau Thalis entdeckte Paula und Zoë und winkte ihnen zu. Beeilung , hieß das ungeduldige Zeichen.
    Zoë wollte losrennen, doch Paula packte sie im selben Moment am Arm.
    »Oh nein!«, raunte sie ihr von der Seite zu. »Was hat denn die hier zu suchen?«
    Zoë brauchte nur auf das Achterbahngefühl tief in ihrem Magen zu hören, um zu wissen, wen Paula meinte. Sie betete, dass sie sich irrte, und blickte nach links.
    Es war eine Sache, David jeden Tag in der Schule zu sehen, aber eine ganz andere, zum ersten Mal wieder Ellen zu begegnen. Ellen, die überhaupt nicht hierhergehörte. Nicht in Zoës Leben, nicht an diese Schule und schon gar nicht an den Spielfeldrand, wo das Basketballteam auf den Schiedsrichter wartete. Eines war klar: Zwanzig Tage und acht Stunden mochten genügen, um Davids Anblick zu ertragen, aber sie waren nicht genug, um Ellen aus ihrem Leben zu verbannen. Auch vierzig Tage würden nicht genügen. Vielleicht nicht einmal hundert.
    Im gleißend hellen Frühlingslicht sahen die beiden Gestalten am Rand des Basketballfeldes aus wie eine Skulptur, Teile aus verschiedenen Welten, die nun zu etwas Neuem, Unbegreiflichem verschmolzen waren. Ein monströses Wesen, bestehend aus zwei Teilen, und jeder von ihnen hatte Zoë bis vor Kurzem noch unendlich viel bedeutet.
    »Wusstest du, dass die sich das Spiel ansehen will?«, fragte Paula.
    »Woher sollte ich das wissen?«, erwiderte Zoë. »Glaubst du wirklich, Ellen und ich reden noch miteinander?«
    Ihre Stimme klang seltsam – belegt und tonlos, aber wenigstens zitterte sie nicht.
    »Sollen wir lieber wieder gehen?«, fragte Paula besorgt.
    »Nein, wieso?«, gab Zoë unwillig zurück. Sie wunderte sich selbst, wie ruhig sie weitergehen konnte, einen Schritt nach dem anderen, als wäre die Welt noch völlig in Ordnung. Das Paar löste sich voneinander – gerade so viel, um wieder Luft zum Atmen zu haben.
    Ellen schien ihre Aufmerksamkeit zu spüren. Als hätte Zoë sie gerufen, wandte sie den Kopf und fuhr ertappt zusammen. Immerhin – es tat gut zu sehen, wie Ellen blass wurde und sie mit offenem Mund anstarrte.
    Was hast du denn geglaubt? , dachte Zoë grimmig. Dass ich wegen David die Schule verlassen und diesen Teil der Stadt nie wieder betreten würde?
    Sie sahen sich in die Augen, bis Ellen errötete und den Blick senkte. Verlegen schob sie sich die halblangen, braunen Locken aus dem Gesicht hinter die Ohren. Die Vertrautheit dieser Geste war es, die am meisten schmerzte. Die Verbindung, die immer noch zwischen ihnen bestand, die Jahre, die randvoll waren mit Ellen und Zoë. Was nützte es, das Zimmer auszuräumen, das Lebkuchenherz vom elften Geburtstag unters Bett zu verbannen und Ellens Briefe zu verbrennen, wenn schon allein ihr Anblick genügte, Zoës Brust in einen Lavastrudel zu verwandeln. Reiß dich zusammen! , befahl sie sich.
    David wollte Ellen den Arm um die Schulter legen und sie wieder zu sich heranziehen, aber sie trat einen Schritt zur Seite und sagte etwas zu ihm. Wie immer, wenn sie aufgebracht war, fuchtelte sie hektisch mit den Händen herum. Zoë kannte sie so gut, dass jede Geste
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