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Schattenauge

Schattenauge

Titel: Schattenauge
Autoren: Nina Blazon
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wie ein Wort war. Im Moment war Ellen ziemlich sauer. Natürlich hatte David gewusst, dass die Marathongruppe der Zehnten heute Nachmittag ebenfalls hier auf dem Sportplatz trainieren würde. Und dass die Chancen gut standen, dass Zoë auch da sein würde. Nur hatte er es Ellen nicht gesagt, sondern sie ohne groß nachzudenken zum Basketballspiel eingeladen.Typisch David. Und blödes Pech für dich, Ellen . Mitten in den Fettnapf .
    Jetzt sah auch David zu ihr herüber. David mit seinem blonden Haar, in seinem schwarzen Trainingsshirt, das betonte, wie hochgewachsen und sportlich er war. Derselbe Junge, der ihr vor drei Monaten einen Metallstern vom Weihnachtsbaum vor der Börse geholt hatte. David, mit dem sie noch vor vier Wochen mitten in der Nacht zum höchsten Punkt der Stadt gefahren war, die Wange an seine Schulter gelehnt, während das Dröhnen seines Motorrads sie beide stumm machte und der eisige Februarwind durch ihre Haare fuhr. Und nicht zuletzt David, dessen Nachrichten sie vor zwanzig Tagen gelöscht hatte. Hundertdreißig Mal »Löschen«. Nur die letzte SMS hatte sie aufgehoben. Ausgerechnet die sprachloseste von allen, die nicht viel mehr war als eine lahme, nüchterne Entschuldigung, die hundertdreißig Liebeserklärungen zu wertlosen, leeren Buchstaben verblassen ließ.
    Er hob die Hand und winkte ihr zu.
    »Idiot!«, zischte sie und beschleunigte ihre Schritte. Paula hakte sich bei ihr unter. Die Nähe tat gut. Gemeinsam liefen sie zur Gruppe – sechs Mädchen aus Zoës und Paulas Jahrgang, die nun mit verschränkten Armen abwartend dastanden. In ihren Blicken konnte Zoë das Mitleid sehen. Willkommen bei der Vorher-nachher-Freakshow . Der Exfreund führt seine Neue aus der Südstadt-Schule vor – und hier kommt die Verlassene.
    Sie biss die Zähne zusammen. Auf eine Vorstellung würden sie lange warten können. Ellen konnte ihr David wegnehmen (oder David ihr Ellen, schwer zu sagen, was schlimmer war), aber zum Heulen würden sie sie nicht bringen.
    »Schön, dass ihr doch noch zu uns stoßt!«, begrüßte Frau Thalis sie mit schneidender Ironie und tippte vorwurfsvoll auf ihre Armbanduhr.
    Zoë murmelte eine Entschuldigung und hielt dem verärgerten Blick ihrer Sportlehrerin stand. Frau Thalis war groß, athletisch, die kurz geschnittenen Haare standen hinter dem Stirnband hoch wie Igelstacheln.
    Während Zoë die Schuhe aus dem Beutel zerrte, musterte die Lehrerin sie unbarmherzig.
    »Siehst ein bisschen mitgenommen aus«, bemerkte sie mit einem Unterton, den Zoë nicht recht einordnen konnte. »Na ja, jedenfalls willkommen zurück im Team.«
    Paula lächelte ihr von der Seite zu. Ihre Sommersprossen leuchteten in der Frühlingssonne, eine Brise wehte ihr die kupferroten Strähnen über die Wange, bis sie sie mit einem Gummi zusammenfasste.
    Frau Thalis wandte sich an die anderen. »Zehn Minuten Stretchen und dann zweimal zweihundert zum Aufwärmen! Zoë, du machst am Anfang noch langsam.«
    Zoë nickte und zog sich hastig die Turnschuhe an. Dann gesellte sie sich zu den anderen und konzentrierte sich ganz auf das Dehnungsziehen in der Wade. Der Schmerz fühlte sich beinahe tröstlich an. Nicht hinsehen , befahl sie sich. Und dennoch glaubte sie Ellens Blick zu spüren, ein heißes Prickeln im Nacken. Es kostete Kraft, so viel Kraft, gleichgültig und beherrscht zu wirken! Um sich zu beruhigen, zog sie den herben Gummigeruch der Bahn tief in ihre Lungen.
    Die Mädchen lockerten die Muskeln, machten sich bereit.
    »Los!«, rief Frau Thalis. Zoë startete, spürte das Federn der Bahn unter ihren Sohlen. Noch empfand sie den Wind als kühl, er kitzelte die Gänsehaut auf den Armen hervor. Paula holte auf, bis sie Seite an Seite liefen. Nach und nach fanden sie einen gemeinsamen Rhythmus. Schritt, Schritt, Atem. Schritt, Schritt, Atem. Erste Runde um das Basketballfeld.
    Schon jetzt büßte sie für die lange Pause. Die Gelenke waren steif, die Müdigkeit zerrte an ihren Beinen. Sie zwang sich in den Rhythmus, und tatsächlich gelang es ihr, einen Zipfel der alten Leichtigkeit zu erhaschen: Sekunden, in denen sie einfach nur lief, befreit von allen Gedanken.
    Zweite Runde. Am Ende der langen Bahnseite nahm sie eine Gestalt im Gegenlicht wahr. Die helle Jacke, die sie gemeinsam gekauft hatten, vor… zwei Monaten? Ein grelles Erinnerungsbild flammte auf: Ellen, wie sie sich nach der Party hinter David aufs Motorrad schwang. War die Berührung damals schon vertraut gewesen? Oder sogar
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