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Schatten über Ulldart

Schatten über Ulldart

Titel: Schatten über Ulldart
Autoren: Markus Heitz
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entlud sich in voller Stärke, als Lodrik mit seinen Wachen im Palast angekommen war. Regenschauer gingen auf die Provinzhauptstadt nieder, spülten Dreck und Unrat in den Rinnen davon und wuschen den Staub von den Dächern.
    Der Gouverneur begab sich ohne eine Erklärung in das Audienzzimmer, riss die mannsgroßen Fenster auf und starrte voller Faszination auf die Blitze, die unentwegt aus dem Himmel auf die Erde stießen. Eine solche Gewalt, die Bäume spaltete, Häuser in Brand setzte und Steine zerschlug, hatte er unbeschadet überstanden.
    Der Wind brachte die Wandbehänge und Gardinen zum Flattern, doch der junge Mann interessierte sich nicht für das, was um ihn herum geschah. Er hatte nur Augen für die gleißenden Energien, die in unregelmäßigen, schnellen Abständen die Dunkelheit durchbrachen. Bei jeder Entladung spürte er das anhaltende Kribbeln in seinem Kopf ein wenig stärker, als ob es eine Verbindung zu den Blitzen gäbe.
    Irgendetwas hatte sich in ihm allerdings verändert. Er nahm Gerüche viel besser wahr als sonst, leise Geräusche vernahm er beinahe so deutlich, als stünde er direkt neben ihrer Quelle.
    »Herr«, kam es fragend von der Tür her.
    Waljakov und Stoiko standen wartend am Eingang und traten nach einer kleinen Weile hinter den Thronfolger Tarpols.
    »Herr, der Cereler wartet in Eurem Ankleidezimmer, um Euch näher zu untersuchen«, sagte sein Vertrauter. »Wir möchten alle ganz sicher sein, dass es Euch wirklich gut geht.«
    »Mir geht es gut«, entgegnete Lodrik gedankenverloren. »Gebt ihm Geld für den Weg in den Palast und schickt ihn wieder nach Hause, wenn der Sturm sich gelegt hat.«
    »Ich bestehe aber darauf, dass …«, begann Stoiko, als der Gouverneur herumwirbelte.
    »Ich habe einen Befehl erteilt, erinnerst du dich? Ihr stellt meine Entscheidungen nicht infrage, und ihr sollt mir nicht mehr befehlen!« Er machte einen Schritt auf seinen Vertrauten zu. »Also, lass die Bevormundung endlich sein, sonst vergesse ich mich eines Tages noch!« Im Halbdunkel des Audienzzimmers sahen beide Männer, wie die Augen ihres Schützlings in tiefem Blau zu glühen begannen und dabei immer greller leuchteten.
    Zum ersten Mal in seinem Leben wich Waljakov zurück. Instinktiv schloss sich die mechanischen Hand um den Säbelgriff. Auch Stoiko duckte sich unwillkürlich und verbeugte sich.
    »Jetzt raus hier.« Lodrik zeigte mit dem blutverschmierten Hinrichtungsschwert auf den Ausgang. »Gebt dem Scharfrichter ein paar Waslec für seine Waffe. Ich werde sie behalten, weil sie mir heute gute Dienste erwiesen hat.« Die Männer verschwanden.
    Der junge Statthalter wandte sich erneut den Blitzen zu und fragte sich, woher auf einmal das Ziehen in seinen Fingerspitzen kam. Es fühlte sich an, als wollte mit aller Macht etwas daraus hervorbrechen, sich entladen und Dinge zerstören. Nur mit Mühe hatte er den Drang eben unter Kontrolle halten können. Es würde vermutlich noch lange dauern, bis er die Nachwirkungen der gewaltigen Energie überwunden hatte.
    Ganz langsam beruhigte er sich nach dem Gefühlsausbruch, der ihm inzwischen schon wieder Leid tat.
    »Ich habe dir Unrecht getan, Ulldrael, als ich an dir zweifelte und meine Freunde angeschrien habe. Sie machen sich nur Sorgen um mich«, murmelte er. »Verzeih mir und hilf, aus mir einen guten Herrscher Tarpols zu formen.«
    Vorsichtig schloss er die Fenster, ordnete die Wandbehänge und Gardinen, danach verließ er das Audienzzimmer, um Waljakov und Stoiko zu suchen, bei denen er sich von ganzem Herzen entschuldigen wollte. Auch die völlig mit Blut befleckte Uniform musste er unbedingt ablegen, denn der metallische Geruch verursachte ihm Übelkeit.
    Burg Angoraja, Provinz Ker, 220 Warst vor Granburg, Spätsommer 442 n.S.
    Nerestro stand inmitten seines Schlafgemachs und machte sich bereit, die Rüstung abzulegen. Ein ausgeklügeltes System an Lederschnüren, Ösen und Haken ermöglichten es, dass der Ritter seinen aus verschiedenen Teilen bestehenden Metallpanzer im Notfall alleine öffnen und Stück für Stück ausziehen konnte – ein großer Vorteil, wenn man während eines Kampfes in einen Fluss stürzen sollte.
    Es hatte einiges an Jahren und noch mehr an wertvollen Leben seiner Ordensbrüder gekostet, bis diese Neuerung endlich bei den Rüstungsschmieden bekannt geworden und umgesetzt worden war. Ein herkömmlicher Tarpoler müsste ein Leben lang arbeiten, um sich eine solche Rüstung leisten zu können, wenn ihm das Privileg
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