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Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)

Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)

Titel: Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)
Autoren: Maria Norda
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zählte nichts mehr. Ich war es leid. Ich war all das leid.
Wie lange würde es wohl dauern, bis mein Licht für immer erloschen würde?
    Ich schloss die Augen und spürte, wie
ein kalter Windzug an meinem Gesicht entlang strich. Ich atmete tief ein und
zog den Duft der kalten Herbstluft in mir auf.
    Doch da war noch mehr – eine Nuance,
eine Spur, eine Briese, ein Geruch. Ein Duft, den ich niemals wieder gehofft
hatte zu riechen – sein Geruch. Hektisch riss ich die Augen auf und starrte in
die Dunkelheit.
    Und dann ging alles ganz schnell. Das
Monster wurde seitlich von etwas Massivem getroffen und fiel unter Aufschrei zu
Boden. Ich sah, wie er mit etwas, mit jemandem, kämpfte.
    Die beiden wälzten sich auf dem Boden
und es war nicht absehbar, wer aus dem Kampf als Sieger hervorgehen würde.
Während ich den Widerling genau erkennen konnte, waren die Umrisse seines
Feindes, meines Retters, unscharf, als würden mir meine Augen einen Streich
spielen. Seine Kontur verschmolz geradezu mit der Dunkelheit, wurde immer
wieder eins mit ihr und doch konnte ich ihn erkennen. Und mir wurde schmerzlich
bewusst, dass ich dies schon einmal – schon zweimal gesehen hatte.
    Inzwischen lag mein Peiniger
rücklings auf dem Boden und wurde von dem Gewicht des anderen nach unten
gedrückt. Ich konnte sehen wie der Fremde langsam seinen Handschuh abstreifte.
Ganz vorsichtig, als könne er dabei etwas falsch machen. Er legte seine blanke
Hand auf das Gesicht seines Gegenübers und keine Sekunde später war all das
Leben, all der Wahnsinn aus seinen Augen verschwunden. Das Monster, das sich
soeben noch krampfhaft gewehrt hatte, erschlaffte wie eine Puppe und rührte
sich nicht mehr. Seine Augen waren immer noch auf mich gerichtet, ausdruckslos,
leer, tot.
    Aber es war nicht der Tod dieses
Mannes, der mich erstarren ließ. Es war die Hand, die auf seinem Gesicht lag.
Ich kannte sie. Ich hatte sie stundenlang gehalten, kannte jede Furche, jede
Schwiele, jedes kleine Haar, dass auf dem Handrücken wuchs.
    »NEEEEIIIN!«, zerriss ein ohrenbetäubender
Schrei die Stille.
    Es war nicht ich, die geschrien
hatte. Es war er. Und ich hörte ihn tatsächlich. Das war keine Einbildung, das
war keine Imagination in meinem Kopf, das war nicht das fade Echo der
Erinnerungen. Das war er.
    Mein Herz schlug bei dem Gedanken an
ihn schneller und schneller. Alles drehte sich, war ein unüberwindliches Knäul
aus Verwirrung und Freude. Es fiel mir schwer zu atmen, so sehr kreiste alles
in mir.
    Und da spürte ich es warm und
pulsierend durch meine Finger rinnen. Ich sah an mir hinab und erschrak. Ein
großer roter Fleck hatte sich auf meinem weißen Shirt gebildet und das Blut
sickerte durch meine Hand. Ein Messer, das Messer, sein Messer lag neben mir
auf dem Boden und auch hier – überall Blut.
    Meine Beine gaben nach und ich rutschte
mit dem Rücken an der Wand entlang. Ich drückte mit beiden Handflächen auf die
Wunde, doch es hörte nicht auf. Unerbittlich, angetrieben durch mein eigenes
Herz pulsierte das warme Blut aus meinem Körper. Mit jedem Herzschlag wurde es
mehr und mehr.
    »Emilia, nein bitte! EMILIA!« Da war
sie wieder, seine Stimme. Da war er wieder.
    War ich bereits tot? Hatte ich den
Übertritt in eine neue Welt vielleicht nur nicht mitbekommen? Waren die
Erzählungen von einem hellen Tunnel alles nur Geschichten? War es nicht
vielmehr ein fließender Übergang vom Dasein ins Jenseits? Sah so das Paradies
aus? Schwer vorstellbar, doch er war hier – es konnte nur das Paradies sein.
    »Emilia! Hör mir zu! Du darfst jetzt
nicht aufgeben!« Er war so aufgebracht, schien einer Panik nah, seine Stimme
klang immer hysterischer.
    Aber warum war er denn so aufgewühlt?
Wir würden die kommende, unendliche Zeit zusammen verbringen. Das war doch
etwas Schönes, oder nicht?
    Ich suchte nach ihm, suchte nach
seinem Gesicht. Ich wollte ihn beruhigen. Alles würde gut werden. Aber es fiel
mir schwer, meinen Kopf zu bewegen. Ich hatte einfach keine Kraft mehr und mein
Körper schien sich jeder weiteren Anstrengung zu verwehren.
    »Robert.« Es war nicht einmal ein
Flüstern, ich konnte seinen Namen nur hauchen, so schwer war meine Zunge.
    »Ich bin hier, Emilia, ich bin hier.
Du musst bei mir bleiben hörst du?!« Seine Stimme klang sanft in meinen Ohren
und da war er. Er kniete neben mir, ein unüberwindbarer Abstand zwischen uns. Aber
er war da – und sein Gesicht war vor Angst verzerrt. Wovor fürchtete er sich
nur?
    »Ich bin so müde.«
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