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Schampanninger

Titel: Schampanninger
Autoren: Max Bronski
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hatte das alte Fenster vom Hof her aufgehebelt und Wohnung samt Laden durchsucht. Mit großer Umsicht, um keine Spuren zu hinterlassen.
    Ich kam ins Grübeln. Das Kokain war nicht mehr bei den Sachen gewesen, die ich im Krankenhaus bei mir hatte. Das Briefchen war mir abgenommen worden. Was also wollten die von mir?
    Natürlich war ich schonungsbedürftig. Doch das half nichts, wenn ich das Heft nicht wieder in die Hand bekäme, würde ich in steinerner Depression versinken. Ich schnappte mir das Telefon.
    Ich rief im Weißbräu an und verlangte Susi. Sie war die Einzige, von der ich mir Hilfe und Auskunft erhoffen durfte.
    – Hier Gossec, sagte ich. Ich bin der Nikolaus, den sie bei euch fast ins Jenseits befördert hätten.
    Susi schwieg eine Weile.
    – Sind Sie jetzt wieder im Heim?
    Zuspruch klang anders.
    – Carl-Löbe-Heim, meinst du? Noch nie gewesen. Ich bin Händler und an diesem Abend nur aushilfsweise eingesprungen.
    – Wenn es so wäre, warum hat dann einer wie Sie Diebstahl nötig?
    – Aha, aus der Ecke kommt das. Dann würde ich gerne wissen, was ich geklaut haben soll.
    Susi blieb still.
    – Als du mich abgeholt hast für den Auftritt, fuhr ich fort, gab es Streit mit Maillinger, weil er mich beschuldigt hat. Ich habe darauf bestanden, dass er die Polizei ruft. Hat er aber nicht. Warum?
    Susi antwortete immer noch nicht.
    – Ich habe anschließend drei Stunden den Nikolaus gemacht. Da wäre ausreichend Zeit gewesen, die zu alarmieren.
    – Man wollte halt kein Spektakel bei so einer Bedürftigenfeier…
    – … und hat mir dann lieber hinterher den Schädel eingeschlagen.
    – Randaliert haben Sie halt.
    – Deine Leute haben mich halb totgeschlagen und in den Keller gesperrt. Womöglich wäre ich krepiert, wenn ich nicht hätte abhauen können. Bis heute früh lag ich in der Chirurgie. Und was ist bei euch passiert? Gibt es eine Anzeige? Hat man sonst etwas in dieser Richtung unternommen? Nichts dergleichen.
    Ich spürte, dass Susis feste Haltung ins Wanken geriet.
    – Hör zu, Susi. Ich muss mit dir reden.
    – Warum?
    – Du musst mir helfen herauszubekommen, was an dem Abend wirklich passiert ist.
    Sie gab sich einen Ruck.
    – Also gut.
    – Wie lange hast du Dienst?
    – Sechs Uhr bin ich fertig.
    – Ich hole dich ab.
    Die Uhrzeit passte. Wir legten auf.
    Nebenan ging die Glocke. Ein älterer Herr stand im Laden.
    – Ist jetzt wieder offen, fragte er. Ich habe schon letzte Woche eine Figur im Schaufenster gesehen.
    Genau das war es, was ich jetzt brauchte. Den Gleichlauf meines Alltags. Außerdem hatte ich es bitter nötig, endlich auf das Weihnachtsgeschäft aufzuspringen. Heutzutage muss man um die Kundschaft ringen. Man weiß ja nie, ob sie nicht endgültig wegbleibt, weil sich online alles viel komfortabler bestellen lässt, atmosphärisch noch dazu entre nous , was enorm viel Spaß bringt, weil man auch nackig, mit einem Handfesten in der Krone vor dem Rechner sitzen und lustkaufen kann.
    Ich verabschiedete meinen Kunden. Immerhin hatte ich eine Krippenfigur an den Mann gebracht. Anschließend dekorierte ich mein Schaufenster ein wenig nach. Knallhart Weihnachtsware, die musste jetzt raus. Christbaumkugeln, echt antik, Lametta mit Bleikern aus den Beständen von Tante Trudi, Rauschgoldengel mit Verkündigungsposaune und die wertvollen Krippenfiguren aus Holz, handgefertigt natürlich, direkt vom Oberammergauer Herrgottsschnitzer, woher denn sonst?
    Dieses Schnitzervolk hat viel dazu beigetragen, das biblische Geschehen in die regionale Folklore umzuquartieren. Aus dem vorderasiatischen Kameltreiber ist ein Hirte in Lodenjoppe und Lederhosen geworden, und Bethlehem ähnelt einem Dorf irgendwo zwischen Graswang und Ettal, das biblisch verbrieft zu Zeiten Jesu noch über keine eigene Kircheverfügte. Der Stall mit Krippe ist ein Heustadel, wie sie hierzulande überall herumstehen, und mit Maria und Joseph hören die Eltern des Kindes auf zwei der schönsten bayerischen Vornamen. Englein als Geschwader im Girlandenflug sind moppelige, gut herausgefütterte Geistwesen, die dem alpenländischen Ideal des Jodelbarock entsprechen. Der den Windeln entwachsene Jesus allerdings wird dem Gesicht nach historisch genau gefertigt, und vom Turiner Grabtuch her wissen wir schließlich, dass er definitiv keine Schlitzaugen hatte, auch nicht schwarz war, sondern wie unser Kara Ben Nemsi aussah.
    Am späteren Nachmittag verkaufte ich noch einigen Christbaumschmuck. Als es auf sechs Uhr ging, sperrte
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