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Schampanninger

Titel: Schampanninger
Autoren: Max Bronski
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Der Geist des Weines verscheuchte alle Ängste, und ich schlief tief und fest.
    In der Nacht träumte ich von alten Seebären, aber mehr noch von Schwester Adeodata. Sie überreichte mir mit glöckchenhellem Lachen ein Kuvert, das eine Einladung für Heiligabend in die Residenz des Kardinals von München und Freising enthielt. Am nächsten Morgen erwachte ich und wusste, dass fast alles an diesem Traum die reine Wahrheit gewesen war. Der ganze Film des verhängnisvollen Abends war wieder präsent, ich konnte sogar mühelos vor- und zurückspulen.
    Im Lichte des wiedergewonnenen Erinnerungsvermögens überprüfte ich noch einmal meine Habseligkeiten. Geld und Pass waren da, auch die Bischofsausrüstung war fast komplett. Die blutverklebte Perücke war wahrscheinlich mit demVerbandsmaterial entsorgt worden. Schmerzlich war jedoch der Verlust des goldenen Buches, genauer gesagt: meiner darin befindlichen Einladung.

11
    Bald darauf machte ich mich nach Hause auf. Man ließ mich nur ungern ziehen und ich musste ein Papier unterzeichnen, dass mir dies nur auf meinen ausdrücklichen Wunsch und eigene Verantwortung hin zugestanden worden war.
    Oben am Himmel zogen sich dunkle Wolken zusammen. Unter diesem Deckel blieb die Stadt lichtlos grau. Und schmutzig, denn ein warmer Föhn hatte den Schnee weggeleckt. Der ausgestreute Kies knirschte unter den Sohlen der Winterstiefel. Mühsam schleppte ich mich den kurzen Weg dahin. Die Krankheit hatte meine Alltagsoptik total verändert. In einer langen Prozession zog das strotzende Leben an mir vorbei. Schöne Frauen mit ausdrucksvollen Gesichtern. Gesund bis ins Mark, dazu in reinlicher heller Kleidung. Unschuldig sowieso. Unsereiner kroch wie eine innerlich verderbte Kanalratte das Pflaster entlang und warf rot entzündete Blicke auf diese Wesen, denn in meiner Sphäre gab es nur Schmerz, Tod und Verwesung. Mehr denn je wünschte ich mir Emma herbei und wusste doch, dass es besser bei den guten Gedanken an sie blieb, als ihr die Gegenwart dieses hinfälligen Leibs zuzumuten, den ich wie eine Bürde mit mir herumtrug.
    Nun begegnete ich auch noch kraftvollen Burschen mitoffenen Jacken, für die Kälte eine Wahrnehmung von Memmen war. Lässig standen sie da mit einer so satten Muskulatur, dass sie ihre Arme weit abgewinkelt tragen mussten und ihr Oberkörper aufgespreizt wurde, als hätte man ihnen Latten ins Kreuz genagelt. Dermaßen viel Saft im Leib, dass sie immer wieder etwas davon durch Gelächter, Geschrei und Primatengestik energetisch abfackeln mussten, um nicht zu platzen.
    Nahm denn hier niemand Rücksicht auf den kranken Menschen? Das war ja nicht auszuhalten!
    Als ich in die Fleischerstraße einbog, ging Hagel herunter, den mir ein scharfer Wind ins Gesicht trieb. Ich lief. Dann war ich endlich wieder zu Hause. Mit meinem Laden war so weit alles in Ordnung, Julius hatte das Gitter heruntergezogen und einen Zettel angebracht, dass wegen Krankheit bis auf Weiteres geschlossen war. Auf meinem Anrufbeantworter waren einige Nachrichten aufgelaufen, zwei davon gingen allein auf das Konto von Babsi. Jetzt kamen mir erste Zweifel am Sinn meiner guten Tat. Babsi wollte ihre Ware, auch wenn sie geschenkt war, sollte sie pronto geliefert werden. Beim zweiten Mal krähte das Kind ins Telefon, wann denn der Onkel Gossec das versprochene Bettchen bringe. Das war Psychoterror, der mir sofort Kopfweh bereitete.
    Der Laden war vollkommen ausgekühlt. Der Wind pfiff durch die Ritzen und trieb sogar kleine Hagelkörner unter den Wetterschenkeln der alten Doppelfenster hindurch ins Innere. Mithilfe eines Ofenungetüms, das einmal eine komplette Glaserwerkstatt auf Temperatur gebracht hatte, hielt ich dagegen. Er schluckte alles, wenn es sein musste sogar Bücher. Ich schürte ein, bis der Wasserkessel auf der Herdplatte zu vibrieren begann und sich Kondenswasser an den Scheiben sammelte.
    Alles kam mir so ungewohnt vor. Irgendwie verschoben. War das mein Kopf oder waren es die Dinge? Ich war matt und orientierungslos, saß da und guckte. Die Ablage mit den Ordnern, mein Kassenbuch, Post und Rechnungen, die auf dem Tisch lagen. Natürlich war Julius mehrfach im Laden und den dahinter liegenden zwei Zimmern gewesen, die ich bewohnte. Aber Julius war ein Trampeltier, das deutliche Spuren zu hinterlassen pflegte, man sah, was er angefasst hatte. Als ich mir dann in der Küche einen Tee kochte, entdeckte ich am Fenstersims eine Schramme. Ich untersuchte die Sache genauer. Kein Zweifel, jemand
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