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Schampanninger

Titel: Schampanninger
Autoren: Max Bronski
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ihnen wie in einem Raum, den man gemeinsam eingerichtet hatte. Jetzt guckte ich diesen Menschen an und versuchte mir selbst eine Antwort auf dieFrage zu geben, wer ich denn war, wenn ich so einen zum Freund hatte.
    Auf einem weiteren Stuhl stand ein leerer Teller, auf dem sich eines dieser linden Frikassees befunden haben mochte, mit denen Kranke gepäppelt wurden. Mein Freund Julius war also ein hungriger Mensch, für den das Meine so gut wie das Seine war. Er stellte das Kompottschälchen zu dem anderen Geschirr. Meine geistige Absenz focht ihn nicht an.
    – Mann, Gossec, was hast du nur angestellt? Was glaubst du, was wir uns Sorgen gemacht haben!
    Weder wusste ich, was ich angestellt hatte noch was mir widerfahren war. Das Wort Sorge allerdings ließ etwas in mir aufsteigen, ein erstes Bild erfüllte mein gequältes Hirn, ein unappetitliches Etwas, das sich zunächst als Schnitzelsemmel und dann als verfehltes Gleichnis entpuppte. Die Sache mit der Hingabe an den Augenblick, das wusste ich jetzt, war ganz großer Blödsinn. Was mich in meinem Zustand noch viel mehr umtrieb, waren die Fragen nach meiner Vergangenheit und meiner Zukunft: Woher komme ich? Wohin gehe ich?
    Julius beobachtete mich mit gespannter Sorge.
    – Emma wartet auf deinen Anruf, setzte er nach.
    – Wer ist Emma?
    Julius schaute mich so leer und blöd wie ein gebrühter Kalbskopf an. Ich war daher sicher, dass sich spätestens jetzt die Sache mit unserer Freundschaft als Irrtum herausstellen würde.
    – Emma ist seit fast zwei Jahren deine Freundin.
    Seine Miene verriet mir, dass ich mit ihr offenbar einen guten Fang gemacht hatte.
    – Warum ist sie dann nicht hier?
    Emma sei Halbitalienerin und halte sich gerade in Messinaauf, wo sie ihre Mutter zu pflegen habe. Tagelang habe sie versucht, mich telefonisch zu erreichen. Endlich habe sie dann in größter Sorge ihn verständigt, er möge sich auf die Suche nach mir machen.
    – Ich war gestern schon da, ergänzte Julius.
    Ich streckte die Hand aus.
    – Wähle mir doch bitte die Nummer.
    Julius zog das Handy aus der Hosentasche und gehorchte. Am anderen Ende meldete sich Emma. Ich hörte ihre Stimme, erkannte sie als vertraute und hatte sofort das Gefühl, dass es gut war, sie zur Freundin zu haben.
    – Emma, bitte kein lautes Wort und keine hohen Töne, ja?
    Ich erzählte ihr, dass ich seit ein paar Tagen im Krankenhaus läge. Wie es dazu gekommen sei, könne ich ihr im Moment selbst noch nicht sagen.
    – Schädelverletzung, rief Julius von der Seite. Schwere Gehirnerschütterung mit retrograder Amnesie. Pflastersturz.
    – Hast du gehört, Emma?
    Beruhigend sprach sie auf mich ein. Ich sicherte ihr alles zu, was sie hören wollte, und sagte unentwegt Ja. Damit hatte ich das bestmöglich hinter mich gebracht.
    Anschließend ließ ich mich von Julius mit einigen Grunddaten versorgen, die der Mensch braucht, um zu wissen, dass er in der Welt ist, Ort, Uhrzeit und Datum vor allem. Dann bat ich ihn, im Schrank nach meiner Kleidung zu sehen, um abschätzen zu können, ob mich die Verletzung bei der Arbeit oder in der Freizeit getroffen hatte. Julius sah nach und musterte mich anschließend wie einen armen Irren. Ein Bischofskostüm hänge dort.
    – Du warst als Nikolaus unterwegs, sagte Julius sanft.
    Zum zweiten Mal ereilte mich der Schock einerunerwarteten Selbstbegegnung. In meinem Zustand kannte man sich und die eigenen Veranlagungen nicht mehr und guckte daher auf einen Scherbenhaufen, aus dem man die eigene Persönlichkeit wieder zusammenflicken sollte.
    – Was mache ich beruflich?
    – Du hast einen Laden. Sagen wir mal: Antiquitäten.
    Ich fand seine Auskunft überraschend, ich hatte mehr auf Kleriker getippt. Das aber, fiel mir sofort dazu ein, war nur der unerfüllbare Wunsch meiner Mutter gewesen.
    – Mit deinem Laden ist übrigens alles in Ordnung, ich habe nachgesehen.
    Julius schob seine Brille hoch.
    – Wenn etwas wäre, du weißt ja: jederzeit!
    Sein Blick war tief besorgt. Ich verstand jetzt besser, warum Julius mein Freund war. Er war zwar dick und gefräßig und besuchte mich immer nur zu den Essenszeiten im Krankenhaus, war aber genau besehen doch ein gutartiger Mensch ohne Falsch. Ich bedankte mich bei ihm und schickte ihn nach Hause, um mich in Ruhe meiner Innenschau widmen zu können.

9
    Auch in der darauf folgenden Zeit ging es mir ziemlich schlecht. Vor allem ist man nach einem solchen Crash besorgt, ob man den Reset der alten Festplatte da oben im Schädel noch
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