Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schalom

Titel: Schalom
Autoren: Carl Hanser Verlag
Vom Netzwerk:
ihr gesagt, hätte sie vielleicht daran gezweifelt, aber dieser Junge hatte keinen Grund, sich anzustrengen, um ihr etwas zu verkaufen, was sie nicht wollte, und außerdem hob man hier wirklich kein Brot vom Vortag auf.
    Sie bezahlte schnell und eilte nach Hause, sie wollte den Techniker nicht verpassen und vielleicht würde Avri doch noch anrufen. In der Regel rief er jeden Tag an, und wenn nicht, dann gleich am nächsten Morgen. Gestern hatte er nicht angerufen, das hieß, er würde heute anrufen. Wenn Jaki hier leben würde, hätte er bestimmt auch angerufen, vielleicht hätten sie ausgemacht, dass jeden Tag einer von ihnen anrief.
    Sie schaltete das Radio an. Bald würde es Nachrichten geben.
    Warum hatte man ihr nicht sagen können, wann der Techniker kommen würde? Wie lang sollte sie auf ihn warten? Am Ende würde er gerade dann kommen, wenn sie angefangen hätte zu frühstücken. Weil sie ans Frühstück dachte, nahm sie das Gemüse aus dem Kühlschrank und wusch es. Sie konnte den Salat ja schon vorbereiten. Und wenn er plötzlich auftauchen würde, konnte sie den Salat wieder in den Kühlschrank stellen. In einer geschlossenen Dose hielt er sich recht gut.
    Avri hatte gesagt, er würde in dieser Woche vielleicht in den Norden kommen. Sie musste ihn unbedingt daran erinnern, die Klimaanlage von Heizung auf Kühlung umzustellen. Die heißen Tage hatten noch nicht begonnen, aber es war ratsam, vorbereitet zu sein, damit der Chamsin 2 sie nicht unvorbereitet erwischte. Avri hatte nicht gesagt, an welchem Tag er kommen würde. Sie wollte Cremeschnitten für ihn vorbereiten, aber wenn das Gebäck zu lange im Kühlschrank stand, würde es schlecht werden. Wenn er sie heute anrief, würde sie ihn fragen, wann er vorhatte zu kommen.
    Sie spürte die Sandkörner auf der Gurkenschale und spülte sie unter dem fließenden kalten Wasser ab. Sie mochte die Gurken, die auf Sand wuchsen. Sie waren robuster und ließen sich leichter schälen. Es war zwar modern, die Gurke mit Schale zu essen. In der Zeitung stand, es sei gesünder, weil in der Schale mehr Vitamine seien als in der ganzen Gurke, aber sie konnte sich nicht daran gewöhnen. Sie hatte es sogar einmal ausprobiert, jedoch das Gefühl gehabt, der Salat sei einfach schmutzig, sie hatte keinen Appetit mehr gehabt und den Salat in den Mülleimer geworfen. Gerade als sie das Messer zum Schälen ansetzte, wurde sie vom Klingeln an der Tür erschreckt.
    Genau wie ich gedacht habe, sagte sie sich. Sie legte die Gurke und das Messer auf die Marmorplatte, trocknete sich die Hände ab und ging zur Tür. Endlich hatten sie den Techniker geschickt. Sie musste ihm unbedingt schnell aufmachen, sonst könnte er womöglich noch verschwinden und behaupten, es wäre keiner zu Hause gewesen.
    Das Gesicht, das sie durch das Guckloch sah, ließ nicht erkennen, ob es sich um den Techniker handelte. Sie drehte den Schlüssel um, entfernte aber nicht die Kette. Sie öffnete die Tür einen Spaltbreit und schaute durch die schmale Öffnung zwischen Tür und Türrahmen.
    »Guten Morgen!«, sagte der junge Mann im Treppenhaus.
    »Guten Morgen«, antwortete sie und sah sofort, dass er keinen Werkzeugkasten dabeihatte und auch keinen Overall trug wie der Techniker, der das letzte Mal bei ihr gewesen war.
    »Ich bin vom Israelischen Blindenverband«, sagte er und griff nach der Ledertasche, die über seiner Schulter hing.
    »Ich bin nicht blind«, sagte Nechama schnell.
    »Das weiß ich, gnädige Frau, ich habe nicht gedacht, dass Sie blind sind. Wir sammeln Spenden für …«
    Sie unterbrach ihn: »Wie viel wollt ihr?«
    Wenn sie ihre Spenden wollen, wussten sie sehr gut, wo sie sie finden konnten. Jeden Tag klopfte ein anderer an ihre Tür und ihre Bitten füllten ihren Briefkasten, aber wenn sie einen Techniker oder etwas Ähnliches brauchte, konnte sie ihnen wochenlang hinterherrennen.
    »Jede Spende wird gerne genommen«, sagte der junge Mann lächelnd.
    Sie ging in die Küche, fand in ihrem Portemonnaie kein anderes Kleingeld als eine Fünf-Schekel-Münze.
    Der junge Mann wartete geduldig hinter der Tür, und als sie die Münze in seine offene Handfläche legte, bedankte er sich mit einem Lächeln und einem warmen Blick seiner braunen Augen.
    Avri sagte ihr immer, sie brauche nichts zu geben. Er meinte, jede Spende befreie den Staat davon, seine Aufgaben zu erfüllen. Das sei nicht die Angelegenheit von Spendenorganisationen, das sei die Pflicht des Staates und dafür zahlten wir Steuern.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher