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Schalom

Titel: Schalom
Autoren: Carl Hanser Verlag
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so weit weg war und den Geburtstag seiner Mutter vergaß, lud er sie doch in jedem Brief ein, ihn in München zu besuchen.
    Sie antwortete dann immer wieder, sie würde diese Einladung nie im Leben annehmen, doch er ließ nicht locker und lud sie immer wieder ein. Sie wusste, dass er sich wirklich danach sehnte, dass sie kam. Zila sagte, er würde sie nur deshalb einladen, weil er sich sicher war, dass sie nicht kommen würde. Aber Nechama kannte ihre jüngere Schwester gut und war ihr nicht böse. Sie selbst wäre auch verbittert geworden, wenn sie einen solchen Lebensgefährten hätte.
    Zila konnte sagen, was sie wollte. Tatsache war, seit Jaki das Land im Zorn verlassen hatte, schrieb er ihr fast jeden Monat einen Brief. Wenn es ihm nicht wichtig wäre, hätte er es schon längst aufgegeben. Wie dem auch sei, Nechama legte Wert darauf, jeden Brief zu beantworten. Ihre Briefe waren zwar immer nur Antworten auf seine Briefe, aber bloß deshalb, weil sie ihn nicht dazu veranlassen wollte, einen Brief zu schreiben, den er nicht von sich aus hatte schreiben wollen.
    Obwohl Menachem damals bei dem Streit mit Jaki maßlos übertrieben hatte, durfte sie doch wohl von ihrem Sohn erwarten, dass er seine Mutter besuchte. Doch seit Jaki das Land verlassen hatte, kam er nur das eine Mal zu Besuch, als Menachem gestorben war. Auch damals war er allein gekommen und nur für wenige Tage. Seine Söhne, ihre Enkelkinder, hatte sie kein einziges Mal gesehen, auch nicht auf Fotos. Auch nicht jene Frau, seine Goja. Es stimmte zwar, dass Menachem gesagt hatte, er wolle sie nie im Leben sehen, aber seit seinem Tod hätten sie schon hundertmal zu Besuch kommen können.
    Avri, der ein paarmal bei ihnen in Deutschland gewesen war, kam jedes Mal noch begeisterter zurück und versuchte immer wieder, sie zu einem Besuch dort zu überreden. Er schlug sogar vor, sie zu begleiten. Aber sie brachte es nicht übers Herz. Jakis Söhne hätte sie gern gesehen. Sie wäre sogar bereit gewesen, die da zu treffen, diese Goja. Aber dorthin zu fahren, zu den Deutschen, das war für sie zu viel.
    Avri konnte das nicht verstehen. Schließlich wusste er nichts von dem, was ihr passiert war. Menachem und sie hatten beschlossen, ihren Kindern nichts zu erzählen.
    »Sie müssen unseren Sack nicht auf ihrem Rücken schleppen«, hatte er gesagt. Und sie hatte genauso gedacht. Nun war Menachem tot. Menachem war der Einzige, der es gewusst hatte. Aber er war gegangen und hatte alles, was er wusste, mit ins Grab genommen. Geblieben war nur das, was sie tief in sich vergraben hatte, was nie ans Tageslicht kommen würde und was sie ganz bestimmt nicht ihren Enkelkindern erzählen würde.
    Sie trank den letzten Schluck Kaffee und schaute wieder auf die Uhr. Das Telefon blieb stumm und sie konnte nicht länger warten. Und Avri würde auf seinen Anruf nicht verzichten. Wenn er sie nicht antraf, würde er am Nachmittag oder am Abend noch einmal anrufen.
    Die Luft im Treppenhaus stand still. Nechama ging langsam die Treppe hinunter. Sie wollte sich eigentlich beeilen, denn es wäre ja möglich, dass der Techniker früher kam, doch wenn sie Stufen hinunterstieg, zog sie es vor, besonders vorsichtig zu sein. Sie kannte mehr als eine Geschichte von Menschen, die auf der Treppe gestolpert waren und dann viele Tage im Krankenhaus zubrachten und letztlich doch nicht mehr gesund wurden.
    Auf dem Bürgersteig machte sie große Schritte und ging schnell. Die kühle Morgenbrise umschmeichelte sie weich und erfrischend.
    In der Ferne sah sie den jungen Araber, der bei Gottesmann arbeitete, an der Ladentür stehen. Als er sie sah, begrüßte er sie.
    »Guten Morgen, Frau Nechama«, sagte er.
    Er war der Einzige auf der Welt, der sie Frau Nechama nannte. Sogar Gottesmann selbst, der nie das Wort »Frau« vergaß, nannte sie Frau Silber und nicht Frau Nechama. Wie dem auch sei, dieser junge Araber, dessen Namen sie sich nicht merken konnte, war ihr sympathisch. Unsere jungen Leute könnten sich von seinem guten Benehmen eine Scheibe abschneiden. Zila sagte, er schmeichle sich nur ein, weil er Angst habe, aber sie wusste, dass er keinen Grund hatte, vor ihr Angst zu haben, vor niemandem in dieser Siedlung. Er war ganz einfach gut erzogen.
    Er kam schnell auf sie zu und bot ihr seine Hilfe an, und Nechama, die es vorzog, die Milch selbst zu nehmen, bat ihn um einen halben Laib Brot, frisch von heute Morgen.
    »Wir haben kein altes Brot, Frau Nechama«, sagte er.
    Hätte Gottesmann das zu
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