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Schalom

Titel: Schalom
Autoren: Carl Hanser Verlag
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aus dem Jugendzentrum zurück, als hätte er den Ort nie verlassen.
    Avri beendete seine Schilderung mit den Worten: »Während seiner Hochzeit war er viel aufgeregter.«
    Anna sah darin ein Kompliment und legte zum Zeichen der Dankbarkeit ihren Kopf an seine Schulter. Ihre Zuneigung weckte Freude in ihm, doch diese Freude war von dem Bedauern begleitet, dass seine Mutter und der Vater diese Ehe boykottierten.
    Er zweifelte nicht daran, dass alle Vorbehalte ausgeräumt wären, wenn seine Mutter nur bereit wäre, Anna zu treffen. Aber für seine Mutter war Anna keine Frau mit einem Namen und hübschen Grübchen, wenn sie lächelte, für sie war sie nur »die da« oder »die Deutsche«. Das Wort »Deutsche« war an sich schon die Verkörperung alles Grausamen und Bösen, das man sich vorstellen konnte, und die Verbindung zu ihrem eigenen Fleisch und Blut war nichts als ein weiterer Versuch von »denen«, sie fertigzumachen.
    Hätte Jaki Anna nicht kennengelernt, hätten Jaki und Avri ihre Eltern vielleicht nicht nach dem, was damals »dort« passiert war, ausgefragt. Die Eltern redeten nie darüber, und ohne Anna wären sie, die Söhne, auch nicht auf die Idee gekommen, danach zu fragen.
    Als Jaki wissen wollte, was den Eltern dort widerfahren war, weswegen sie von ihm erwarteten, dass er auf diese Verbindung, die ihm so wichtig war, verzichten sollte, hatte der Vater entschieden: »Das werdet ihr nie erfahren!«
    Avri wusste bis heute nicht, was dort geschehen war. Aber er wusste, dass der Vater kein besonders sturer Mensch war; wenn er also den Kontakt zu seiner Schwiegertochter und den Enkelkindern mied, dann war klar, dass es sich hier um eine wirklich schreckliche, unerträgliche Geschichte gehandelt haben musste. Der Vater gab nicht nach und redete nicht, aber Jaki gab auch nicht nach.
    Die Mutter hatte sich damals nicht in das Gespräch eingemischt, und Jaki hatte später zu Avri gesagt, dass es, hätte sie sich eingemischt, vielleicht anders abgelaufen wäre. Aber Avri hatte die Blicke gesehen, die der Vater der Mutter zuwarf, er hatte gewusst, dass es nicht der Vater war, der entschieden hatte, was gesagt wurde, sondern die Mutter. Der Vater hatte sich für den Boykott wegen der Dinge entschieden, die der Mutter dort passiert waren, über die sie weder sprach noch etwas hören wollte.
    »Kein Deutscher wird dieses je Haus betreten! Auch deine Frau nicht und nicht ihre Kinder!«, hatte der Vater damals wütend zu Jaki gesagt und mit der Faust auf den Tisch gehauen.
    Jaki hatte nichts mehr gesagt, er war aufgestanden und hatte schweigend das Zimmer verlassen. Avri hatte gesehen, wie der Vater die Mutter anschaute, die den Blick nicht von der Holzplatte des Tisches hob, wie er zu ihr ging und schweigend über ihre Haare strich. Er spürte genau, dass der Vater sie beschützte, auch wenn er nicht wusste, wovor.
    Jetzt, nachdem er das Auto schon in die Parklücke vor dem Haus gefahren hatte, dachte er, es sei vielleicht doch gut gewesen, dass Jaki ihm nicht die Gelegenheit gegeben hatte, die Mutter auf Gils Ankunft vorzubereiten. Hätte er als Erster mit ihr gesprochen, vor Jaki, hätte sie Zeit gehabt, darüber nachzudenken, und bestimmt hätte sie auch den Geist des Vaters zurate gezogen, und am Ende hätte sie sich geweigert, diesen Besuch zu empfangen, einen Jungen, der schon achtzehn Jahre alt war und seine Großmutter noch nie gesehen hatte.
    Jakis Anruf war für sie schon aufregend genug, und dazu die Ankündigung dieses Besuchs … Sie war bestimmt ganz durcheinander. Vermutlich hatte sie versucht, die Tatsache zu verdauen, dass Jaki am anderen Ende der Leitung war, und war wohl nicht in der Lage, gleichzeitig die Sache mit dem Besuch zu begreifen. Avri fragte sich, ob sie inzwischen an die Worte des Vaters gedacht hatte: Kein Deutscher wird dieses Haus je betreten! Auch deine Frau nicht und nicht ihre Kinder! Der Vater hatte es doch nur ihretwegen gesagt, und jetzt war er nicht mehr bei ihr. Sollte jetzt er, Avri, sie beschützen? Aber wovor? Dieses Kind war schließlich ihr Enkelsohn. Er war so viele Jahre danach geboren worden. Sie durfte ihn in Gedanken doch nicht mit dem verbinden, wovor der Vater sie hatte beschützen wollen.
     
    Avri wusste auch nicht, ob es richtig war, Gil diese Geschichte auf die jungen Schultern zu laden, ob er die Tragweite der Verantwortung verstehen würde.
    Und was, wenn ihr etwas passierte? Wenn sie zusammenbrach? Nein, nein. Das konnte er sich nicht vorstellen. Sie war
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