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Schärfentiefe

Titel: Schärfentiefe
Autoren: I Mayer-Zach
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aufgetragen hatte, läutete es an der Tür. Sie schlüpfte in die Stiefel und in den Mantel und los ging es. Den Computer hatte sie vergessen auszuschalten.

Drei
    1.
    Das Telefon riss sie am nächsten Morgen aus dem Schlaf. Es war Eleonora, ihre Mutter. „Um Gottes Willen, was ist passiert, dass du so früh anrufst?“, raunzte Paula ins Telefon. Sie war hundemüde.
    „Töchterchen, es ist acht Uhr dreißig. Sag mir jetzt nicht, dass du noch geschlafen hast.“
    „Nein, natürlich nicht“, log Paula. Ein Blick auf den Wecker bestätigte: Es war halb neun vorbei.
    „Wie lief das Treffen bei Santo? Ich habe gestern Abend bei dir angerufen und Kurt hat mir gesagt, dass du möglicherweise noch in der Agentur bist.“ Kurt war eine Tratschen. Paula würde ein ernstes Wort mit ihm reden müssen.
    „Er hat mir ein reizvolles Projekt angeboten“, sie versuchte ein Gähnen zu unterdrücken. „Ich soll eine Biografie über einen kürzlich verstorbenen Fotografen schreiben.“
    „Etwa über den, den sie am Samstag tot aus der Donau gefischt haben?“
    Paula resignierte: Sogar ihre Mutter wusste über den Fotografen und dessen Unfall Bescheid.
    „Das nenne ich einmal ein interessantes Projekt. Weißt du, dass er auch einmal hier in Krems eine große Ausstellung gemacht hat? Sehr schöne Aufnahmen waren das. Er hat sich hier einige Monate aufgehalten und es wird ihm nachgesagt, dass er mit einer vom Ort ein Techtelmechtel hatte. Du weißt ja, was die Leute so reden, wenn der Tag lang ist. Aber darüber können wir später plaudern. Ich bin dann in ungefähr einer Stunde bei dir und bringe dir Nachschub für die Tiefkühltruhe. Lass dich nicht stören, falls du etwasvorzubereiten hast oder weggehen musst. Ich habe die Schlüssel mit. Bis gleich.“
    Fort war sie und Paula im Nu munter.
    Der Kinobesuch mit Markus war witzig gewesen, der Film hatte von der Liebe zweier Sprösslinge von Einwanderern in Amerika gehandelt, die einige Turbulenzen mit ihren Familien durchzustehen hatten, bis sie endlich zusammenkamen. Danach waren sie in ein Lokal gegangen und hatten bis zur Sperrstunde um drei Gespräche geführt. Markus hatte sie nach Hause begleitet und sie zum Abschied geküsst. Er hatte ihr versprochen, sie bald wieder anzurufen. Wann war bald?
    Paula nahm eine ausgiebige Dusche und stellte Kaffee auf. Sie genoss die Ruhe vor dem mütterlichen Sturm. Kurt verließ jeden Tag um acht Uhr dreißig die Wohnung und danach standen ihre vier Wände wieder ausschließlich ihr zur Verfügung. Sie legte eine alte Schallplatte von Lucio Dalla auf den Plattenteller, „Viaggi Organizzati“, und drehte so laut, dass sie die heisere Stimme des italienischen Barden bis in den letzten Winkel der Wohnung hören konnte. „Tutta la vita, al centro della confusione …“ – „das ganze Leben mitten im Chaos …“, wie passend. Sie stopfte die herumliegenden Kleidungsstücke in den Kasten, räumte das Geschirr in den Spüler und schaltete die Waschmaschine ein. Gut, dass es bewölkt war und keine Sonnenstrahlen die Staubschichten auf den Möbeln und den seit längerem nicht geputzten Fenstern beleuchteten. Zum Saugen blieb ihr keine Zeit. Schon hörte sie, wie ihre Mutter die Tür aufsperrte. Rasch drehte Paula die Musik ab.
    Die quirlige Eleonora machte den Eindruck, als wäre sie gerade einem Werbespot der Generation 50 plus entstiegen: Sie war eine adrette Blondine mit leicht gebräuntem Teint, schlank, trug Jeans und einen hellblauen Lambswoolpullover. Eine starke Frau in jeder Beziehung: In zwei großen Taschen hatte sie die Monatsration tiefgekühlter Pakete die Stockwerkehinaufgeschleppt. Paulas Überleben für die nächsten Wochen war gesichert.
    Nachdem sie die Pakete in die Tiefkühltruhe geschlichtet hatten, setzten sie sich in die Küche, tranken Kaffee und aßen frische Semmeln mit Butter. Draußen schneite es, der erste Schnee in diesem Jahr.
    „Vielleicht wird es heuer wieder einmal weiße Weihnachten geben“, sinnierte Paula beim Blick aus dem Fenster. Dass es Anfang November einen plötzlichen Wintereinbruch gab, war nichts Besonderes. Leider war das kein Garant dafür, dass auch zu Weihnachten Winteridylle herrschen würde. Zumeist war die weiße Pracht binnen weniger Stunden aus dem Stadtbild verschwunden.
    „Ich freue mich, dass du diesen Auftrag bekommen hast, das klingt sehr interessant“, kam Eleonora auf Existenzielles zurück.
    Paula nickte. „Wie war das mit dieser Ausstellung bei euch und seinem
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