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Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen

Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen

Titel: Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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glaube, wir dürfen vernünftigerweise unterstellen, daß die Bemerkung an den Verstorbenen gerichtet war.«
    Großhofmeister (an das Haus gewandt): »Meine Lords, Eure Lordschaften werden sich über die Stichhaltigkeit dieser Vermutung natürlich ein eigenes Urteil bilden.«
    Verteidiger: »Wenn Eure Lordschaften akzeptieren können, daß Cathcart von der Existenz des Revolvers gewußt haben kann, ist es unerheblich, wann genau er ihn gesehen hat. Und wie Sie gehört haben, steckte in der Schreibtischschublade immer der Schlüssel. Er kann den Revolver jederzeit darin gesehen haben, wenn er nach einem Briefumschlag oder Siegellack oder was auch immer suchte. Jedenfalls behaupte ich, daß die Bewegungen, die Oberst Marchbanks und seine Gemahlin Mittwochnacht gehört haben, von Denis Cathcart stammten. Während er seinen Abschiedsbrief schrieb, vielleicht mit der Pistole vor sich auf dem Tisch – ja, genau in diesem Augenblick schlich der Herzog von Denver die Treppe hinunter und zur Wintergartentür hinaus. Und das ist das Unglaubliche an dieser Geschichte – daß wir immer und immer wieder zwei Ketten von Ereignissen finden, die miteinander nichts zu tun haben, sich aber zur gleichen Zeit abspielen und dadurch ein heilloses Durcheinander stiften. Ich habe das Wort ›unglaublich‹ gewählt, nicht weil Zufälle grundsätzlich unglaublich wären – denn wir erleben im Alltag erstaunlichere Beispiele dafür, als ein Schriftsteller sich auszudenken wagen würde –, sondern lediglich, um es dem verehrten Anklagevertreter aus dem Mund zu nehmen, der sich bereits anschickt, es wie einen Bumerang auf mich zurückfallen zu lassen. (Gelächter.)
    Meine Lords, das ist der erste dieser unglaublichen – ich scheue mich nicht, das Wort zu gebrauchen – Zufälle. Um halb zwölf geht der Herzog die Treppe hinunter, und Cathcart dringt ins Arbeitszimmer ein. Der Ankläger hat im Kreuzverhör meines edlen Mandanten mit Recht versucht, so viel Kapital wie möglich aus der Diskrepanz zwischen seiner Aussage bei der Untersuchungsverhandlung – nämlich daß er erst um halb drei das Haus verlassen habe – und seiner jetzigen Aussage zu schlagen, wonach er schon um halb zwölf fortgegangen ist. Meine Lords, wie Sie auch immer die Motive des edlen Herzogs für sein Verhalten interpretieren mögen, lassen Sie sich von mir noch einmal sagen, daß zu der Zeit, als diese erste Aussage gemacht wurde, alle Welt noch annahm, der Schuß sei um drei Uhr gefallen, so daß diese unrichtige Aussage damals für die Konstruktion eines Alibis völlig ungeeignet war.
    Sehr hervorgehoben wurde auch, daß der Herzog sich nicht imstande sah, für die Stunden von halb zwölf bis drei Uhr ein Alibi beizubringen. Aber, meine Lords, wenn es nun die Wahrheit ist, daß er die ganze Zeit im Moor herumlief, ohne einem Menschen zu begegnen, welches Alibi könnte er dann vorweisen? Er ist nicht verpflichtet, für jede Nebensächlichkeit, die er in diesen vierundzwanzig Stunden getan hat, ein Motiv anzugeben. Es wurde hier nichts vorgetragen, was seine Angaben widerlegen könnte. Und es ist vollkommen vernünftig, daß er, als er nach dem Streit mit Cathcart nicht einschlafen konnte, einen Spaziergang machte, um sich zu beruhigen.
    Inzwischen hat Cathcart seinen Brief fertig geschrieben und in den Postsack gesteckt. Es gibt nichts Ironischeres an dem ganzen Fall als diesen Brief. Während die Leiche des Erschossenen auf der Schwelle des Hauses lag und Detektiveund Ärzte überall nach Hinweisen suchten, ging die Routine eines normalen englischen Haushalts weiter, als ob nichts geschehen sei. Der Brief, der die ganze Geschichte enthielt, lag unbehelligt im Postsack und wurde ganz normal fortgebracht und aufgegeben, um zwei Monate später unter hohen Kosten, großem Zeitaufwand, sogar unter Lebensgefahr zurückgebracht zu werden, zu Ehren des großen englischen Mottos: ›Die Geschäfte laufen weiter wie gewohnt‹.
    Oben in ihrem Zimmer packt Lady Mary Wimsey gerade ihren Koffer und schreibt einen Abschiedsbrief für ihre Angehörigen. Cathcart hat seinen Brief schließlich fertig und setzt seinen Namen darunter; er nimmt den Revolver und eilt hinaus ins Gebüsch. Aber noch geht er auf und ab, mit den Gedanken Gott weiß wo – wahrscheinlich läßt er seine Vergangenheit an sich vorüberziehen, leidet die Qualen vergeblicher Reue und hegt vor allem bittere Gefühle gegenüber der Frau, die ihn ruiniert hat. Er besinnt sich auf das kleine Liebespfand, die
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