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Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen

Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen

Titel: Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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Erfahrung Ihnen seine Lage besser verdeutlichen, als meine armseligen Worte es könnten. Ein großer französischer Dichter und ein großer englischer Dichter haben dies in wenigen Worten zusammengefaßt. Racine sagt über solche Faszination:
    C'est Venus tout entière à sa proie attaché .
    Und Shakespeare hat den verzweifelten Starrsinn des Liebenden in den zwei rührenden Zeilen wiedergegeben:
    Wenn sie mir schwört, aus Wahrheit zu bestehen,
So glaub ich ihr, wiewohl ich weiß, sie lügt .
    Meine Lords, Denis Cathcart ist tot; es steht uns nicht an, ihn zu verurteilen, sondern nur, ihn zu verstehen und zu bedauern.
    Meine Lords, ich brauche Ihnen nicht noch einmal alle die Gemeinheiten im einzelnen zu erklären, zu denen dieser Offizier und Gentleman sich erniedrigte. Sie haben die Geschichte in all ihren kalten, häßlichen Details aus dem Munde von Monsieur du Bois-Gobey Houdin vernommen, sowie auch, begleitet von vergeblichen Worten der Scham undReue, aus den letzten Äußerungen des Verstorbenen selbst. Sie wissen, wie er gespielt hat, ehrlich zuerst – dann unehrlich. Sie wissen, woher er diese großen Geldsummen bezog, die in unregelmäßigen Abständen auf geheimnisvolle Weise und in bar eingingen, um ein Konto aufzufüllen, das stets gefährlich nah am Rande der Leere war. Meine Lords, wir brauchen auch nicht zu hart über diese Frau zu urteilen. Nach ihren Begriffen hat sie ihn nicht unfair behandelt. Sie mußte ihre eigenen Interessen wahren. Solange er für sie bezahlen konnte, gab sie ihm Schönheit und Leidenschaft und Spaß und – in Grenzen – sogar Treue dafür. Als er nicht mehr bezahlen konnte, fand sie es nur vernünftig, sich nach etwas anderem umzusehen. Das hat Cathcart verstanden. Er brauchte Geld, auf Biegen oder Brechen. Und so fand er sich am Ende dieses unaufhaltsamen Niedergangs im tiefsten Sumpf der Ehrlosigkeit wieder.
    An diesem Punkt, meine Lords, treten nun Denis Cathcart und sein unglückliches Geschick in das Leben meines edlen Mandanten und seiner Schwester. Von da an beginnen alle jene Verwicklungen, die zu der Tragödie vom 14. Oktober führen, und die zu entwirren wir hier an dieser erhabenen historischen Stätte zusammengekommen sind.
    Vor ungefähr achtzehn Monaten begegnete Cathcart, immer noch auf der verzweifelten Suche nach einer sicheren Einnahmequelle, dem Herzog von Denver, dessen Vater vor langer Zeit mit seinem, Cathcarts, Vater befreundet gewesen war. Die Bekanntschaft vertiefte sich, und Cathcart wurde Lady Mary Wimsey vorgestellt, die gerade (wie sie uns sehr offen berichtet hat) ›in der Luft hing‹, ›die Nase voll hatte‹ und unter der Trennung von ihrem Verlobten, Mr. Goyles, litt. Lady Mary empfand das Bedürfnis, auf eigenen Füßen zu stehen, und so akzeptierte sie Denis Cathcart unter der Bedingung, daß sie ein freier Mensch sein und ihr eigenes Leben führen dürfe, ohne daß er sich mehr als nötig einmische. Welches Ziel Cathcart dabei verfolgte, hat er uns mit seinen eigenen bitteren Worten gesagt, und ich könnte es nicht besser ausdrücken: Ein schöner Plan – meine Maitresse mit dem Geld meiner Frau auszuhalten.
    So geht es weiter bis letzten Oktober. Cathcart ist jetzt genötigt, recht lange Zeit bei seiner Verlobten in England zu verbringen, und muß Simone Vonderaa unbeaufsichtigt in der Avenue Kléber zurücklassen. Er scheint sich soweit ganz sicher gefühlt zu haben; der einzige Fehler war, daß Lady Mary, die eine natürliche Scheu hatte, sich einem Mann in die Hände zu geben, den sie nicht wirklich lieben konnte, bisher der Festsetzung eines Heiratsdatums immer ausgewichen war. In der Avenue Kléber wird das Geld knapper denn je, und die Kosten für Kleider, Putz, Amüsements und so weiter werden derweil nicht kleiner. Und inzwischen hat Mr. Cornelius van Humperdinck, der amerikanische Millionär, Simone im Bois de Boulogne, beim Rennen, in der Oper – und in Denis Cathcarts Wohnung gesehen.
    Aber Lady Mary bekommt wegen ihrer Verlobung mehr und mehr Bedenken. In diesem kritischen Augenblick sieht Mr. Goyles plötzlich die Chance, eine bescheidene, aber sichere Stellung zu bekommen, von der er eine Frau ernähren könnte. Lady Mary trifft ihre Wahl. Sie ist bereit, mit Mr. Goyles zu fliehen, und ein unglückseliger Zufall will es, daß sie den Zeitpunkt ihrer Flucht auf den 14. Oktober um drei Uhr morgens legen.
    Am Mittwochabend, dem 13. Oktober, begibt sich die Jagdgesellschaft gegen halb zehn nach und nach zu Bett. Der
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