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Sauberer Abgang

Sauberer Abgang

Titel: Sauberer Abgang
Autoren: Anne Chaplet
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aus.
    »Na ja – man fällt in dem Alter ja nicht einfach tot um, oder?«
    Karen sah Thomas Czernowitz scharf an. Marcus Saitz war gerade 48, als er starb. Thomas war ihres Wissens ein paar Monate älter. Und Männer schienen in diesem Alter nicht nur von einer jähen Vorliebe für jüngere Frauen heimgesucht zu werden, sondern auch von einer panischen Angst vor Krankheit und Tod, weshalb man besonders zartfühlend mit ihnen umgehen mußte. Mit den Armen.
    »Machst du dir Sorgen?« Sie versuchte ein aufmunterndes Lächeln.
    Aber Thomas schüttelte den Kopf wie ein störrischer Esel. »Ich versteh’s nur nicht. Und was hat die Spurensicherung …«
    »Thomas! Es gab keinen Anlaß für eine Spurensicherung! Außerdem hatte die Putzfrau bereits gründlich geputzt – rund um die Leiche herum.«
    Die Putzfrau. Verdammt. Etwas war ihr doch aufgefallen, was die Putzfrau betraf. Karen suchte in den Stapeln auf ihrem Schreibtisch nach der Sache Saitz.
    »Und – in der Bank? Hat man da irgend etwas …?«
    Karen blätterte, bis sie das Vernehmungsprotokoll fand. Hier stand es: Im Bankhaus Löwe putzte die Pollux Facility Management GmbH. Sie hatte den Namen auf ihrer Liste, aber bislang keinen Anhaltspunkt dafür gefunden, daß man hier ebenfalls Lohnsklaven hielt. Und die Putzfrau, die den Toten gefunden hatte, hatte keinen litauischen oder ukrainischen Namen, auch wenn er etwas seltsam war und ihr bekannt vorkam. Dalia Sonnenschein.
    Sie blickte auf. Thomas sah noch immer aus wie ein verschreckter Gnom.
    »Was ist los?«
    »Ach nichts, Karen. Ich mache mir nur Sorgen.«
    »Deine Frau?«
    Er lächelte schwach. »Das auch. Aber vor allem – du weißt doch: Wenn ein Freund stirbt …« Er zuckte die Schultern, erhob sich, winkte ihr zu und ging.
    Karen wiegte sich auf dem Schreibtischsessel vor und zurück und blickte zum Fenster hinaus. Ihre wäre gar nicht aufgefallen, daß es draußen sonnig geworden war, wenn sich nicht die Sonnensegel vor die Fenster gesenkt hatten, so, als ob die Frankfurter Justiz nur im Zwielicht gedeihen könne.

6
    Sie trafen sich seit fast einem Vierteljahrhundert hier, einmal im Monat, egal, was geschah. Und obwohl das Hinterzimmer des »Dionysos« roch, wie es seit Jahrzehnten roch – fettig, suppig, ungesund, passend zum Licht, das wie leberkrank durch die Fensterscheiben fiel –, hatten sie alle der Versuchung widerstanden, sich einen netteren Ort zu suchen.
    Während Will Bastian auf die anderen wartete, studierte er die Fotos der Fußballmannschaften, die an der Wand hingen. Das, auf dem er neben Thomas Czernowitz, Max Winter, Michel Debus und Julius Wechsler hockte, hatte er lange nicht mehr betrachtet. Es machte verdammt melancholisch, wenn man sich mit der Tatsache konfrontiert sah, daß das Haar früher voller und die Taille entschieden schlanker gewesen war. Die anderen waren auch nicht hübscher geworden im Laufe der Jahre, aber sie hatten es wenigstens zu etwas gebracht. Thomas war Staatsanwalt, Max führte ein beliebtes Luxusrestaurant, Michel Debus besaß eine ganze Flotte antiker Automobile, und Julius Wechsler war Immobilienmakler, der nicht wußte, wohin mit dem Schotter.
    Iannis steckte den Kopf zur Tür herein und zog fragend die Augenbrauen hoch.
    »Mach mir schon mal ein Bier«, sagte Will.
    Noch vor dem Pils kamen Max, Julius und Michel, Max wie immer mit drei Flaschen unter dem Arm.
    Er brachte schon seit Jahren den Rotwein mit, was Iannis mit schmerzverzerrtem Gesicht duldete. Schließlich war man auch als schlichter Wirt einer griechischen Kneipe stolz darauf, daß so prominente Frankfurter sich hier blicken ließen, selbst wenn sie glaubten, etwas Besseres trinken zu müssen als seinen Hausschoppen.
    Will blieb stehen, während sich die anderen an den runden Tisch setzten, und betrachtete seine alten Kumpels mit Rührung und Ungeduld. Ihre Blicke waren auf Julius Wechsler gerichtet, als ob er das Orakel wäre. Und wie der dasaß, das Gesicht in Dackelfalten gelegt, den schweren Leib weit zurück in den Stuhl gelehnt, so daß der Bauch sich zu einem Hügel wölbte, wirkte er wie ein grundgütiger Landesfürst, dem seine Untergebenen huldigen.
    Der Dicke hob das Glas an die normalerweile mißmutig nach unten gefaltete Nase, schwenkte es, sog das Bukett ein, nickte anerkennend, nahm einen Schluck, rollte ihn im Mund herum, horchte dem Geschmack hinterher, schmatzte ausgiebig und stellte das Glas mit aufforderndem Blick zurück auf den Tisch. Max goß nach, die andere
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