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Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Titel: Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)
Autoren: Jacek Dehnel
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Vitoria, englisches Mahagonitischchen mit Notenständern, Geschenk von Don Mariano de Goicoechea … Ich fühlte mich, als würde ich wieder zwischen den Möbeln herumspazieren, stehenbleiben, einen kleinen Gegenstand auf der Kommode hochheben, wieder abstellen … Und dann die Bilder des großen Goya. Ein Porträt, ein weiteres Porträt, idem Stilleben mit Truthahn, Porträt der Herzogin von Alba in Witwentracht, in Mantille, idem Bild, das einen Koloss auf dem Schlachtfeld darstellt, vierzehn Bilder als Wanddekoration, direkt auf die Wände des Musiksaals im Obergeschoss und die des Salons im Parterre gemalt, idem ein Tischchen für handwerkliche Arbeiten … Einfach so. Und ich begann einen Käufer für das Haus zu suchen, in dem der große Goya kurz vor seiner Abreise nach Frankreich Meisterwerke an die Wände gemalt hat, die ein Vermögen wert sind, mehr als dieses ganze Haus aus gebrannten Ziegeln, in dem man wohl nur mit dem monumentalen Treppenhaus irgendetwas anfangen könnte.
    Ich habe mir keine besondere Mühe gegeben, sondern alles aus dem Gedächtnis aufgeschrieben – wenn Fehler drin sind, dann sind eben welche drin; das soll Großvater Brugada diktiert haben, und Großvater wusste ja nie so genau, wo was steht, also war er für die Inventaraufnahme hervorragend geeignet.

XLII
Mariano spricht
    Vorgestern bin ich durch das Haus gegangen – vielleicht das letzte Mal. Ich schleppte mich ins Obergeschoss – ach, mit dreiundfünfzig Jahren sollte mir das weniger Mühe machen; Großvater war, als er hier einzog, über zwanzig Jahre älter als ich jetzt, und er ächzte nicht so auf der Treppe, er hielt sich nicht auf halbem Weg am Podest fest. Ich musste das. Ich blieb stehen, stützte mich auf den etwas abgeblätterten gipsernen Sockel, auf dem bis vor kurzem sein phantastischer, mächtiger Kopf gestanden hat. Der Kopf eines Genius. Ha, das war vielleicht ein Kopf! Ich habe ihn übrigens bei einem ziemlich guten Bildhauer bestellt, den Namen weiß ich nicht mehr, das Geld kam damals schnell herein. Und war schnell wieder weg. Ich schlug Colmenares vor, ich könne die Büste hierlassen, schließlich sei sie ein Andenken, im Haus meines Großvaters, an einem besonderen Platz. Aber mein Preis war wohl zu hoch – vielleicht hätte er den Köder geschluckt, wenn ich mich an den Namen des Künstlers erinnert hätte? Was soll’s. Den Sockel lasse ich ihm, soll er daran ersticken, und für den Kopf, der einstweilen in einer Kiste mit Holzspänen liegt, wird sich noch ein Platz finden.
    Die Schmierereien von Vater blättern und rieseln überall von den Wänden. Im Parterre steigt jeden Winter die Kälte von unten auf, sogar dort auf dem Hügel; die im Obergeschoss bröckeln einfach und zerfallen. Man muss nur mit der Hand dranhauen – zack, zack, und Teilchen von Putz und Farbe springen ab. Ich weiß nicht, wer das Zeug letztendlich bekommen und ob er es pflegen wird, denn Colmenares wird das Haus wohl nicht behalten, sondern es weiterverhökern, er will mich über den Tisch ziehen und den späteren Käufer schröpfen wie ein Schieber; aber irgendjemand wird sich sicher darum kümmern. Oder er lässt irgendeinen Pfuscher kommen und die Bilder oberflächlich reparieren, oder er lässt sie abschlagen, und das war’s. Andererseits – wenn Colmenares einen Kunden für das Haus findet, dann bestimmt nicht wegen der mickrigen Reste des Weinbergs (ich hab ihn mir durchs Fenster kurz angesehen, dabei war dort früher ein blühender Garten!), wegen der verschossenen Vorhänge oder der Mauern aus getrockneten Ziegeln; der Kunde wird sich wohl eher für die Schmierereien an den Wänden interessieren.
    Ich stieg ins Parterre hinauf und sah in der linken unteren Ecke des Bildes mit dem Alten, der das Kind verschlingt, noch eine Unterschrift, die ich übersehen hatte, als ich die übrigen Signaturen vernichtete – ich verstehe gar nicht, wie ich sie nicht bemerken konnte. Ich zog aus der Weste mein altes Taschenmesser, an dem die Vergoldung schon fast abgegangen ist, das Geschenk von Großvater, schlug mit einer Handbewegung das Stück ab, auf dem Javier Goya y Bayeu, pintor stand, zertrat es für alle Fälle noch mit dem Absatz, damit man nichts mehr erkennen konnte, und verließ das Zimmer. Colmenares kam schon den Hügel herauf, mit aufgeknöpftem Rock; als er mich sah, hob er die Hand zum Zylinder.
    Ledig House, Omi, NY, 12. 9. 2009 – Warschau, 17. 8. 2010

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Nachwort des Autors
    Saturn wäre
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