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Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Titel: Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)
Autoren: Jacek Dehnel
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Hähne sind nicht dumm, und bevor schließlich einer bereit ist, seinen roten Kamm zu verkaufen, essen sie sich alle satt und traben zum nächsten Esel. Denn an Eseln fehlt es nie. An Eseln fehlt es nie , das ist ein guter Titel, aber noch nicht gut genug. An denen fehlt es nie ? Nein, das wird aussehen, als fehle es nie an Hähnen. Was auch wieder stimmt. An den einen wie den anderen fehlt es nie . Zu lang. Oder das, Sie werden nicht verzeihen : Zwei abgeschlagene, aufgespießte Köpfe, der eine in den anderen verbissen. Das habe ich während meiner ganzen Jugend gesehen. Oder ein heiterer Alter, der das Mark aus kleinen Knochen saugt – an der Schwelle drängen sich weitere Kinder. Lasset die Kindlein zu mir kommen . Gut, nicht wahr?
    Manchmal erstaunt mich die Genauigkeit, mit der ich weitere Bilder sehe – ein wenig wie damals, vor langer Zeit, als mir in den kleinsten Einzelheiten der Koloss erschien, aber doch anders. Damals hatte ich eine große, allgemeine Vision, jetzt sehe ich jeden Pinselstrich; ich sehe genau die Farbnuance und weiß, wie man sie erlangt, ich wähle aus, wie dick der Pinsel sein muss – manchmal träume ich von meinen Lieblingspinseln, mit denen ich in der Quinta gemalt habe, vor allem von einem, einem völlig abgefressenen, denn der Putz frisst die Haare schnell weg, bis auf ein Restchen, das mit einer Schale aus vertrocknetem Schwarz bedeckt ist; ich weiß, wie ich die Hand führen muss, wenn ich das Weiß auf die verschwitzte Stirn eines Alten auftrage, wie ich den zinnoberroten Teint gewinne, nicht einen jugendlichen, sondern eben den eines Alten; die Lehnen des Stuhls, auf dem dieser Knochenfeinschmecker sitzt: Jeden Lichtfleck, jeden Schatten, alles sehe ich, alles. Und das genügt mir vollkommen. Mein Sohn, meine Schwiegertochter, meine Enkelin sind sicher, dass ich den Tag verplempere, dass in meinem Kopf stehende Gewässer faulen, in denen nichts geschieht – aber sie haben keine Ahnung, was so viele Jahre Reglosigkeit im Kopf bewirken, dieser faulende Bodensatz; sie haben keine Ahnung von der wachsenden Kraft, die gegen die Schleusen und Dämme drückt und sie jeden Moment sprengen kann, um sich ringsum zu ergießen und die Wände mit den scheußlichsten Bildern zu bespritzen.

XL
Javier spricht
    Seltsam, dass mich erst jetzt das Gerücht erreicht hat, dass Rosario Weiss, die die letzte Hoffnung meines Vaters war, seinen Lenden sei doch ein großer Künstler entsprungen, dass dieses talentlose Hühnchen, das zuerst irgendwelche Miniaturen, dann Tapeten, dann Kopien alter Meister gebastelt, es doch noch zu etwas gebracht hat. So hübsch hat sie ein Bildchen nachgemacht, dass ein böser, böser Händler es als Original verkauft hat. Und das gab ein bisschen dicke Luft, die Herzogin von San Fernando hat ihr sogar untersagt, Bilder von Velázquez zu kopieren, weil sie »zu ähnlich« seien.
    All das habe ich natürlich von Gumersinda, die aus unerfindlichen Gründen jeden Klatsch und Tratsch in Madrid kennt, bevor irgendjemand anders davon erfährt, und mir alles brühwarm weitererzählt; sie kam mit hochrotem Gesicht zu mir und sagte: »Du hast ja keine Ahnung, was mit dieser Göre los ist, die uns das Vermögen streitig machen wollte!« Ich nickte nur, ich werde mich doch nicht mit ihr auseinandersetzen, dass nicht das Mädel uns, sondern wir ihr, das heißt, eigentlich, ihrer Mutter – und dass wir es nicht nur versucht, sondern sie tatsächlich um ihr Vermögen gebracht haben, indem wir ihr ins Gesicht logen, als Vater aufgeschwemmt im Sterben lag.
    Wie dem auch sei, Rosario hat schließlich doch etwas aus ihrer Malerei gemacht, denn sie bekam eine Stellung als Zeichenlehrerin bei einem hässlichen, dicken Mädchen, das zufällig die Infantin Spaniens ist. Aber eines Tages, ein halbes Jahr später, ging sie aus dem Palast auf die Straße, wo irgendwelche Unruhen waren, und das hat sie so mitgenommen, dass sie einen Schlag bekommen hat und gestorben ist. Danach sprach Gumersinda von ihr nur noch als von dem »armen Mädel«, allerdings auch das nur selten, denn über Leichen gibt es kaum Tratsch, der es wert wäre, weiterverbreitet zu werden.
    Sollte jemand – so dachte ich mir – angesichts all der Miniaturen und Tapeten, der Kopien und diesem ganzen Gebastel zu dem Schluss gekommen sein, unter uns habe ein großes Talent gelebt, dem nur das Schicksal nicht gewogen gewesen sei, dann hätte er in diesem Moment kapitulieren müssen; jemand, den beim Anblick einer
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