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Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Titel: Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)
Autoren: Jacek Dehnel
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völliger Finsternis und Stille, abgesehen vom Kratzen der Zweige auf den Dachziegeln im anderen Flügel des Hauses.
    Wir umrundeten den ganzen Saal im Parterre, wir sahen, wie das Böse flüstert, wir sahen die hohlen Menschen, die nur an den Ruhm glauben, die trauernde Kokotte und den schwarzen Ziegenbock, der das blutjunge Mädchen mit dem Muff verführt, wir sahen die Krankheit und den unersättlichen Saturn. Vor ihm blieben wir am längsten stehen, so lange, dass ich meine Last auf der Kommode abstellen musste (kurz zuvor war ich mit dem Ellbogen so gegen die vorstehende Kante gedonnert, dass der Strom mir durch den ganzen Arm fuhr und ich den Kopf fast hätte fallen lassen). Ich keuchte. »Du bist vielleicht ein Idiot, Javier«, sagte ich zu mir selbst, »du hast ja nicht mehr alle Tassen im Schrank, oder? Alle werden denken, du bist völlig übergeschnappt.« Aber ich hatte nicht dreißig Jahre, wenn nicht länger, im Schlaf verbracht, um mich jetzt darum zu kümmern, was die Leute sagten, oder was sie sagen würden, wenn sie mich so sehen könnten, einen Familienvater, einen geschätzten Bürger, der mitten in der Nacht in einem mit Farben versauten Hemd ein Stück Gips durchs Haus schleppt. Eine Marmorimitation. Und der zu allem Überfluss mit dieser Marmorimitation redet.
    Am schwierigsten war es auf der Treppe; mit jedem Schritt wurde er schwerer. Aber es gelang, wir erreichten den ersten Stock.
    Jetzt war es schon heller. Noch nicht ganz hell, aber heller – und ich sah, zwischen der Prozession der Inquisition und dem scharlachroten Mantel der über dem Schlachtfeld schwebenden Göttin, wie die Morgendämmerung über dem violett schimmernden Madrid aufstieg und die gegenüberliegende Wand erleuchtete; ich stellte den Kopf auf den erstbesten Stuhl, setzte mich selbst daneben und schaute, beide schauten wir auf die zwei Burschen, die bis zu den Knien im dicken Sumpf steckten und sich mit Keulen bearbeiteten.
    Erst jetzt sah ich, wie ähnlich sie einander waren. Die gleichen buschigen Augenbrauen, die gleichen Backenbärte, die breiten Schultern, umspannt von den Jacken mit kurzen Schößen; sie waren Spiegelbilder, eng verbunden im Kampf – von gleichem Wuchs, unterschieden sie sich nur durch eines, durch das Alter. Aber der Jüngere würde mit der Zeit dem Älteren ähnlich werden. Er würde mit dessen Worten sprechen und dessen Geheimnisse erkennen, und in seinem Kopf würden, wenn er einschlief, genau die gleichen Gespenster erscheinen.
    Die übrigen Bilder schauten wir gar nicht mehr an; mit festem Griff packte ich den Kopf und trug ihn auf das Podest zwischen den Etagen, wo er hingehörte.

Mariano spricht
    Im Herbst ging es dem Dicken besser; er hörte auf mit dem unablässigen Malen und Übermalen der Wände, erlaubte Felipe, sämtliche Kübel, Eimer, Paletten und Pinsel wegzuräumen, er selbst beaufsichtigte die Muskelprotze, die die Möbel wieder an die richtigen Plätze stellten und danach die Wäscherinnen, die er die Säle im Parterre und im ersten Stock saubermachen ließ, so dass – abgesehen von den abstoßenden Szenen, die weiterhin die Wände verunstalteten und die er weder zu übermalen noch zu verhängen erlaubte – das Haus langsam wieder normal wirkte. Dennoch weigert sich Concepción, wie früher im Sommer dorthin zu fahren, und selbst die Tagesausflüge mit Essenskörben und Instrumenten, mit einem Nachmittagspicknick am Fluss und anschließendem Musizieren lehnt sie ab.
    Nicht, dass er völlig gesund wäre – war er das denn jemals? Aber die Zeit vergeht, und ich muss mich mehr um meine eigene Familie und mich selbst kümmern als um Vater, dem ja Mutter und das Personal zur Seite stehen und jede Menge silberne Realen; und die Realen können einiges bewirken, was weder Mutter noch das Personal schafft.
    Für einen jungen Mann aus guter Familie sind prächtige Zeiten angebrochen; man sagt, die Königin wolle den Carlisten einen Schlag versetzen, indem sie den Landbesitz der Kirche konfisziert und verkauft – also nichts wie investieren. Man hört auch von Bergwerken aus römischer Zeit, wo angeblich riesige Vorkommen verschiedener Metalle lagern, und die Informationen darüber kann man anscheinend recht billig kaufen. Ja, und natürlich die Bahn.
    Der Stammbaum, den die Trantüte in Großvaters Archiv gefunden hat, muss dringend ergänzt werden, und jetzt, wo man im Königreich die Granden wieder eingeführt hat, sollte man unser Wappen mit einem Titel schmücken. Und das flott,
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