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Satt Sauber Sicher

Titel: Satt Sauber Sicher
Autoren: Dirk Bernemann
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aufgerafft und nie ihre Naivität und ihren Glauben an die Liebe verloren.
    Vera beginnt ihre Schicht. Spricht einige Worte der Übergabe mit der Nachtschwester. Ärgert sich dann ein bisschen über zu wenig Schlaf und über inkompetente Kolleginnen. Da gibt es immer viele Neuaufnahmen während der Nacht. Die gibt es immer. Opfer von Schlägereien oder der mangelnden Erfahrung im Einsatz von Rauschmitteln oder Schnellfahrer, die ihre Körper auf der Straße verteilen.
    Solche Nächte gab es schon viele und die Rettungsdienstmenschen kratzen die Menschenreste und manchmal auch die Menschenrechte von der Straße ab und bringen das ins Hospital, wo dann ätzende Ärzteund Schwestern mit den Resten das Leben wieder gutmachen wollen. Verbinden von Wunden. Die frisch operierten. Da wurde fein geschnitten, mit dem Skalpell die Haut aufgemacht und dann die Knochen im Menschen sortiert, so dass der wieder laufen kann zum nächsten Unglück. Intensiver Verletzte kommen natürlich auf die passende Station. Meistens in solchen Nächten kommen solche mit Schädelfrakturen. Wenn der Schädel nicht rechtzeitig wieder zugemacht wird, entkommt das Gehirn durch die Hintertür. Vera hat so was schon gesehen. Da ist eine dicke, professionelle Haut über die Dinge gewachsen, die Vera schon gesehen hat. Menschen gehen schnell kaputt und manchmal kommt die Füllung raus, das ist nicht schön und das weiß Vera gut.
    Vera weiß so einiges: Sie hat ein ekelhaft hemmendes Misstrauen gegenüber anderen Menschen. Sie weiß, dass sie manchmal überreagiert und in ihrem emotionalen Haushalt immer Gefühle fehlen oder zu viel sind. Sie kann sich nicht organisieren. Entweder reagiert sie bei Kleinigkeiten völlig über das Maß der gewöhnlichen Emotionsinvestition oder aber sie bleibt bei Gegebenheiten, bei denen andere Menschen ausrasten, kalt wie ein Gefrierfach. So ein Leben, in dem viel passiert, macht so was mit einem, denkt die Vera, wenn sie wieder vor dem Scherbenhaufen der emotionalen Endgültigkeit still verharrend Selbstmordgedanken hat.
    Und immer wieder diese Männer, von denen viele kamen und alle auch wieder gingen aus für Vera unerfindlichen Gründen. Für Vera stellte ab einem gewissen Zeitpunkt das Verlassenwerden eine Art Routine dar. Sie hatte immer wieder Angst vor dem Zeitpunkt und vor Sätzen, die da lauteten: "Vera, wir müssen reden" oder "Vera, ich habe nachgedacht" oder "Vera, du weißt, was das heißt ..." Vera wusste einen Scheiß und die Verliebtheit ging doch auch nie weg, denn sie, die Vera,war nur imstande auf eine einzige Art zu lieben, nämlich in aller Fülle und glänzender Gänze. Anders zu lieben, kam für Vera nie in Frage, irgendwie so halb lieben oder offene Beziehungen oder gar fremdgehen, kam für Vera nie in Frage. Sie war immer fixiert auf den Mann, den sie grade liebte. Voll drauf auf ihm, immer mit der Gefahr verbunden ihm hörig zu werden, weil die Liebe doch so stark ist und die Liebe, die erhaltenswerte Liebe, geht doch weg, wenn der Mann böse wird. Sie hat sich so viel gefallen lassen von diesen stinkenden Männern, die Vera, und jetzt liegt ihre ganze Hoffnung vor den Füßen eines gewissen Randor Namobis. Nein, der ist ja auch bald weg, es gibt nur noch seinen zerschlagenen Körper.
    Vera liest die Liste mit den Neuen der Nacht, insgesamt sind es zwölf Personen, bei zweien besteht immer noch akute Lebensgefahr, einer davon hatte schon ihr Gesicht in den Händen. "Randor Namobi" steht da. Und dahinter "komatös". Was dann noch dahinter steht in dieser überheblichen Medizinsprache, übersetzt Vera für sich folgendermaßen: Ein afrikanischer Körper liegt verwüstet und zerschlagen auf Zimmer 115. Der Kopf hat keine Möglichkeit mehr, die zerbrochene Gestalt irgendwie zu steuern. Innerhalb des Körpers ist das meiste zerrissen. Die Seele und Teile des Gehirns kleben an irgendeinem Bahnsteig. Abdrücke von Schuhen am Hinterkopf sind die kleinste Verletzung, die der Sterbende hat. Eine Chance hat er nicht.
    Die Täter sind nach der Tat schnell weggerannt. Der krasse Wahnsinn in ihnen hat die Gestalt eines Mordes angenommen. Deutscher Mord. Unter deutschem Mond. Das steht da nicht auf dem Zettel, den Vera liest. Sie heult ein bisschen, fragt sich dann aber warum eigentlich. Vera guckt. Neutral. Ihr afrikanischer Freund.
    Wäre er bloß nicht hierher gekommen, dann hätte er vielleicht eine Chance gehabt. Aber er war hier, kurz und schmerzvoll reißt er nun ein Loch in sie und das würde wehtun,
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