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Satt Sauber Sicher

Titel: Satt Sauber Sicher
Autoren: Dirk Bernemann
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hätte Vera an dieser Stelle, wo man ein Herz vermutet, ein Herz. Das liegt aber derzeit tiefer, irgendwo in der Magengegend, und verdaut sich selbst, der alte, schleifende Klumpen Herzgestalt.
    Sie beginnt ihren Dienst mit dem Stellen von Medikamenten, die sie gleich verabreichen wird. "Ne Menge Valium", "ne Menge Morphium". Viel Ruhe liegt in diesen Tabletten. Es ist die Ruhe, die Vera ausstrahlt. Eigentlich müsste sie doch schreien vor Schmerz. Da war doch was mit Liebe mit diesem schwarzen, schönen Mann mit gut gebautem Penis. Da war doch was mit bunter Hoffnung auf ein anderes Leben mit einem Menschen außer dem, dem man selbst aus den Augen schaut. Der andere Mann. Randor. Ein warmer, anschmiegsamer Körper. Exotische Erotik. Vera erinnert sich an eine Nummer auf dem Küchentisch, nach der sie sich wie eine Mischung aus Filmdiva und Billignutte gefühlt hat. Der Afrikaner hat sie hergenommen wie ein Stück Abreaktionsmaterial. Spermavernichtung. Aber das Vorurteil vom langschwänzigen Neger kann Vera nur bestätigen und gut finden. Aber jetzt ... und was ist jetzt ... da dieser Körper nebenan in Fetzen geschlagen aufgebettet liegt.
    Jetzt liegt er hier und stirbt. Keine Chance, weil man sein Gehirn zertreten hat. Ein leichtes Zittern überkommt Vera und sie erinnert sich an das Telefonat mit Randor Namobi von gestern Abend. Da hat man sich noch Küsse an den Körper gewünscht und eigentlich auch mehr und Liebe und all das Zeug, das bunte Gedanken macht, weil da wer ist, der mit einem ist. Und der liegt jetzt hier, Zimmer 115. Vera bedient sich am Valium, um emotionalen Entgleisungen vorzubeugen. Das hat sie in der Vergangenheit schon öfter für nötig erachtet. Viva la Valium. Es kommt langsam in den Körper, und die Gedanken, die gerade noch wie entgleisungswürdige ICEs vorbeirauschten, werden zu sanft trabenden Wiener Pferdekutschen. Wie gesagt, es liegt viel Ruhe in diesen Tabletten. Sie machen Schmerzentfernung. Das weiß Vera, deswegen verlieren sich diese kleinen weißen Dinger in ihrem Gesicht. Immer wieder.
    Die Tablettensucht ist eine Suche nach dem Kern und gleichzeitig aber der Verlust der Eigentlichkeit. Vera hält es schwer aus, sie selbst zu sein mit all diesen seelischen Verstümmlungen und Verwundungen, die sich so tief in sie reingegraben haben. 38 Jahre lang. Vera hat eine Weichheit, in die jede Neurose ungehindert eindringen kann. Die Härte ist nur äußerlich. Der emotionale Gesamtdeponiebestand fängt immer wieder Feuer. Irgendwas in ihr ist ständig entzündet. Ihr Dienst ist routinierter als sonst. Die Notwendigkeit der Betäubung besteht laufend. Der Vormittag tanzt vorüber und von der Realität ist der Traumstrand nur einen Pillenwurf weit entfernt. Unzerkaut fallen die kleinen weißen Dinger in den Magen und der Schlaf wird zur Sehnsucht. Sie geht auch zu Randor ins Zimmer. Schaut zu, wie er stirbt, der doofe Neger. Überall an ihm sind Schläuche. Der ganze Mensch eine einzige blutende Wunde. Vera geht aus Zimmer 115. Was da noch liegt, ist nicht mehr von Belang.
    Der Dienst atmet ein und aus im Gegensatz zu vielen Menschen hier. Diese Verletzten, diese Krebsmenschen am Tor zum Finale, diese Anderswelt mit Nahtodexkrementen, all das würde Vera lieben, wenn sie lieben könnte. Denn all diesen Menschen geht es schmutziger als ihr. Vera lebt. Irgendwie ist sie am Leben beteiligt. Aber da liegt keine eindeutige Definition von Leben vor. Alles ist immer nur die Probe vor derAufführung. Nie wird es wirklich Ernst. Immer sind da diese Phasen, in die Vera fällt, haltlos, achtlos fällt sie in Empfindungen und nichts kann den Fall stoppen, der immer mit einem unsanften Aufprallen auf dem Asphalt der Realität endet. Es ist wie mit den Kranken, mit den Sterbenden, die Vera betreut, auch die haben, wenn sie zu ihr kommen, nur einen einzigen Ausgang zur Verfügung: Sterben. Vera verlängert lediglich ihre unbedeutenden, kleinen Leben und bringt den Angehörigen Kaffee, Kekse, Trost und Gleichgültigkeit.
    Am Ende des Frühdienstes ist Vera etwas regulierter. Etwas fehlt und zwar die Aussicht auf einen dunkelbraunen Schwanz in ihr. Diese Mangelaussicht ersetzt grad ein Valiumpräparat. Aber mehr schlecht als wirkungsvoll. Sex war immer auch Lösungsmöglichkeit. Die Sprache der Liebe war sehr häufig vaginal, weil Vera verbal einfach nicht das sagen konnte, was sie fühlte.
    Vera denkt auch an Roland, der war etwas länger da, aber warum, außer jetzt mal feste ficken, das weiß sie
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