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Satt Sauber Sicher

Titel: Satt Sauber Sicher
Autoren: Dirk Bernemann
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erst mal saufroh ist. Roland hat ein Volk froh gemacht. Er hat einen Sieg errungen. Siegreich brettert er durch blutgetränkte Straßen, in denen kurz zuvor noch mit Maschinenpistolen, Flammenwerfern und Kindersoldaten gekämpft wurde. Für die Freiheit von allen, die sich durch Repressionsscheiße erniedrigt gefühlt haben.
    Roland fährt dann in einer durchgeranzten und blutbefleckten (ja, auch er hat mitgemordet, so richtig old school mit der Machete Köpfe von Hälsen ...) Militäruniform hinten auf einem Jeep durch Straßen, flankiert von jubelnden Menschenmengen, die seinen Namen brüllen und die Fäuste zum Himmel recken. Roland hat irgendwas mit der Revolution zu tun, die hier passiert ist, und die Menschen feiern deswegen ein Fest auf den Straßen. Es ist ein sonniger Tag und überall blutbesprenkelte und blutbefleckte Menschen, auch Kinder. Das versammelte, kriegsgeschädigte Volk am Wegesrand spricht afrikanische Dialekte, Englisch, Deutsch, Spanisch und irgendwas, das Roland nicht versteht, aber er weiß, dass die Menschen ihn meinen. Roland steht hinten drin im Jeep und es regnet Blumen und Kleinkinder für ihn.
    Am Schluss des Traums führt Roland nach fünfstündiger Atomar-, Energie- und Kulturprovokation noch Krieg gegen Amerika und gewinnt auch hier überlegen mit 4:1. Er hat hoch gepokert und die Welt gewonnen, die ihn dann mit Blumen beschmeißt und ihm bunte Kinder schenkt. Ein Tropfen Glück wandelt sich in einen Tropfen Schweiß ...
    ... und Roland erwacht in der zittrigen Einsamkeit seines eigenen Asozialismus. Sein Zimmer ist hell, als er die Augen aufmacht, die er dann auch schnell wieder schließt. Wieder nach innen wollend, wieder irgendein Traum. Jetzt ist er wach und stirbt weiter.
    Jeder seiner Tage beginnt mit solchen Zusammenbrüchen. Immer diese Diskrepanz zwischen Stimmung und Wirklichkeit beziehungsweise zwischen Wollen und Nichtkönnen. Und die Träume werden immer kranker. Und immer echter. Immer blutiger und immer revolutionärer. Immer näher kommen die Bilder, nur er, der Roland, er ist kein Held, wird nie einer sein. Schwimmt nur. Kann nichts machen außer existieren. Immer diese Müdigkeit nach dem Erwachen. Immer so schlimm. Und Schmerzen hat er. Er ist vor kurzem erst dreißig geworden. Das war kein Fest, es kam und ging und nichts fing Feuer.
    Und die Verwirrung. Da kommt sie als Produkt dessen, was Roland so träumt und was er so lebt. Die Verwirrung schleicht um seine Wahrnehmung und plündert irgendwann die Synapsen, schneller Zugriff der Verwirrung aufs Gehirn. Roland wird von sich verwirrt und die Verwirrung besiegt sein Sein. Sucht sich Teile in seinem Gehirn, die eigentlich zum Treffen wichtiger, für ein menschliches Fortkommen relevanter Entscheidungen benutzt werden, aus und fickt diese. Um den Verstand gekommen. Da liegt dann der Verstand unbenutzt in Roland rum und vergammelt Zelle für Zelle. Es beginnt ein Tag, es endet ein Traum.
    Geisteskonfusion ist da, das sieht ungefähr so aus in Rolands Schädel: Glücklich sein; der Weg ist Klärschlamm besudeltes Territorium; ein anderer sein wollen, als ich nicht bin; lieber keine Jahresrückblicke mehr machen; ja, ja, ja, ficken, ja, ja, ja; Gott spuckt Blut auf den Ameisenhaufen der Geschichte; ein Hase sein wollen; in Liebe endlich alt werden dürfen; verrottendes Gemüse im ungeöffneten Gefrierfach; da sind noch Leichen im Keller, wenn sie Hunger haben, mein Freund; ich hab die Unschuld kotzen sehen; ab jetzt nur noch Liebeslieder; anderswo ist Sommer; today is the greatest day of my life; schwierige Schuhe sind unendlich; Traurigsein im Wasserglas; an nichtsglauben außer an nichts. Zu schnell die Gedanken zum Erfassen und Zuendedenken ist unmöglich. Würde irgendjemand sich mit mir auf ein Feld voller Steine legen und warten? Warum stinke ich morgens und abends? Was ist in meinem Bauch, das ich nicht brauche? Raus damit! Unwillkürlichkeit und Schlagermusik. Polka. Pogo. Pornografie. Ein Tanz in Massenhaft. Gefangener der Wirklichkeit. Wo ist mein Musenmiststück? Bis zum Kollaps. Züge fahren quer durch seinen Kopf und kollidieren.
    Das denkt Roland. Ein Gedanke ist nur etwa eine Viertelsekunde bei ihm, alle Gedanken sind Turboschnellzüge, unmöglich zuzusteigen und mitzufahren. So bleibt Roland stehen am Bahnhof, der eigentlich sein Schlafzimmer ist, und leidet still an seiner Art des Nichtverstehens der Welt. Unbekömmlichkeit kommt. Und das Leben schmeckt hervorragend, wenn man auf den Geschmack von
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