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Satt Sauber Sicher

Titel: Satt Sauber Sicher
Autoren: Dirk Bernemann
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Reihe ungeschriebener Beziehungsgesetze entwickelt. Beispielsweise machen sie Einkäufe zusammen, damit der französische Mann auch mal was aussuchen darf mit seinem übriggebliebenen Auge. Er steht auf Käse und auf Wein und manchmal ist ihm nach Weißbrot und Würstchen. Seit er diese Verletzung im Kopf hat, tut auch sein linkes Bein weh, wenn es regnet. Seltsamer Zusammenhang, aber lieber nicht in den Kopf des Mannes gucken. Obwohl das ja durchaus möglich wäre. Durch die unbewohnte Augenhöhle hat man ja vielleicht freien Blick aufs Gehirn, denkt Karla manchmal, aber wozu sollte so ein Blick gut sein. Lieber den Mann blickdicht halten und weiter ein wenig verliebt sein oder so tun. Aber es schmerzt nicht ihn anzusehen, wie er da sitzt und versucht, einzelne Wörter aus der Bildzeitung korrekt zu artikulieren. "... Konzlerin Merkell at gesagt ..." Was sie gesagt hat, ist eigentlich egal. Karla liebt diesen fremden Mann täglich ein wenig mehr. Und der Mann lebt einfach hier, als wäre er ein Haustier. Er bekommt zu fressen, wird gestreichelt und wenn ihm sein Bein oder sein Kopf wehtut, wird er in Ruhe gelassen. Das sind neue und gute Gesetze und Karla spürt darin so etwas wie Zufriedenheit.
    Außerdem haben sich die beiden wortlos darauf geeinigt, sich morgens zu küssen und "Guten Morgen" und "Bonjour" zu sagen. Das klappt bislang ganz gut und die beiden sind sehr zufrieden mit sich und ihrem Leben. Geld ist auch da, immer noch von Huberts Lebensversicherung. Davon lässt es sich sehr entspannt leben. Und das tun die beiden. Auf ihre Gemüter legen sich warme Schleier und da kommt eine Ruhe von ganz innen. Bei beiden.
    Für den französischen Mann ist Deutschland natürlich eine Umstellung. Einiges hier findet er seltsam zum Beispiel das Essen und die Menschen. Aber er fühlt sich in Karlas Nähe gut aufgehoben und angenommen. Der Verlust seines Auges macht ihm manchmal Sorgen. Sonst sind seine Gedanken aber bunt und die umspannende Wärme Karlas tut ihr Übriges.
    Draußen der Novemberregen und hier drin die Süße der Atmosphäre, die Karla durch Schlagermusik und Kaffee hergestellt hat. Der französische Mann versucht sich immer noch an der Bildzeitung. Er erkennt mit seinem Auge einige Bilder von Prominenten und nennt deren Namen. "Ah, c'est Adolf Itler, non?", flüstert er verheißungsvoll durch die Stille. "Ja, isser", nickt ihm Karla entgegen und nippt an ihrer Kaffeetasse. Stellt die dann weg, die Tasse, und nimmt die Hand des Mannes. Der guckt überrascht über die Zeitung hinweg und fragt sich, was jetzt kommt, und in Karla wird es ruhig, auffällig leise und bewusst und sie sagt deutlich und leise und maximal ehrlich: "Merci ..." Der Mann weiß wofür und greift sich Karlas Hand. Die alte Hausfrauenhand in der Hand des dicken Franzosen. Der Hand geht es sehr gut da und der Mann vergisst die Schmerzen im linken Bein. Die beiden küssen sich wie zwei Menschen, die nicht wissen, dass sie Nasen haben. Der Mann fasst Karlas Gesicht an und kneift sie in die Wange. Ganz leicht, aber die Hautfalten im Frauengesicht bleiben einen Moment lang so stehen, wie der Mann sie mit seinen Fingerspitzen geformt hat. Dann fällt das Gewebe wieder herab und es schwebt ein Hauch Liebe durch die Heizungsrohre, die vor Freude gluckern. Die nicht wissen, dass sie Nasen haben, streicheln sich und haben extrem gute Gefühle miteinander. Sie halten sich an den Händen und machen sich mit ihren groben Fingern Muster in die Haut des anderen. Zärtlichkeiten fliegen durch die Luft zwischen ihnen und da ist eine Güte, die mensch am allerbesten mit geschlossenen Augen wahrnehmen kann. Also schließen die beiden die Augen und lassen Liebe zu. Oder das, was sie dafür halten.
    Es ist eine Ruhe im Haus, die Ruhe der mild gestimmten, irgendwie Gealterten. Menschen, die wissen, was sie nicht wollen, sitzen da und lassen sich gefallen, was sie eventuell wollen. Wille ist eh viel zu abstrakt, um sich in Menschen einzuverleiben. Deswegen ist hier eine Ruhe.
Gute Nacht allerseits ...
Entzauberung der Kunst
    "Du hattest ein Bild vom Leben in dir, einen Glauben, eine Forderung, du warst zu Taten, Leiden und Opfern bereit - und dann merktest du allmählich, dass die Welt gar keine Taten und Opfer von dir verlangt, dass das Leben keine heroische Dichtung ist, mit Heldenrollen und dergleichen, sondern eine bürgerliche gute Stube, wo man mit Essen und Trinken, Kaffee und Strickstrumpf, Tarockspiel und Radiomusik vollkommen zufrieden
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