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Saphirblau

Saphirblau

Titel: Saphirblau
Autoren: Kerstin Gier
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»Das habe ich Gideon bereits bei unserem ersten Treffen erklärt. Natürlich tut es mir ein bisschen leid, dass er so viel Energie auf deine Cousine verschwendet hat - wie heißt sie noch gleich? Charlotte?«
    Jetzt starrte ich ihn an. Aus irgendeinem Grund dachte ich an Tante Maddys Vision und das Herz aus Rubin, das auf einem Felsenvorsprung am Abgrund lag. Am liebsten hätte ich mir die Ohren zugehalten, nur um die sanfte Stimme nicht mehr hören zu müssen.
    »Er ist in dieser Hinsicht auf jeden Fall deutlich raffinierter, als ich in seinem Alter war«, sagte der Graf. »Und man muss ihm zugestehen, dass er von der Natur mit reichlich Vorteilen ausgestattet wurde. Was für ein Adonis-Körper! Was für ein schönes Gesicht, welche Anmut, welche Begabung! Wahrscheinlich muss er ohnehin kaum etwas tun, damit die Mädchenherzen ihm zufliegen.
Der Löwe brüllt in Fis-Dur, die Mähne purer Diamant, multiplicatio, die Sonne gebannt...«
    Die Wahrheit traf mich wie ein Schlag in den Magen. Alles, was Gideon getan hatte, seine Berührungen, seine Gesten, seine Küsse, seine Worte, all das hatte lediglich dazu gedient, mich zu manipulieren. Damit ich mich in ihn verliebte, so wie vorher Charlotte. Damit wir leichter zu kontrollieren waren.
    Und der Graf hatte so recht: Besonders viel hatte Gideon gar nicht tun müssen. Mein dummes kleines Mädchenherz war ihm von ganz allein zugeflogen und vor seine Füße gefallen.
    Vor meinem inneren Auge sah ich den Löwen auf das Rubinherz am Abgrund zugehen und es mit einem einzigen Tatzenhieb beiseite fegen. In Zeitlupe fiel es hinab, schlug tief unten am Boden der Schlucht auf und zersprang in tausend winzig kleine Blutströpfchen.
    »Hast du ihn schon einmal auf der Violine spielen gehört? Wenn nicht, werde ich dafür sorgen - nichts ist besser geeignet, ein Frauenherz zu erobern, als die Musik.« Der Graf blickte träumerisch an die Decke. »Das war auch ein Trick von Casanova. Musik und Dichtung.«
    Ich würde sterben. Ich fühlte es genau. Dort, wo vorhin noch mein Herz gewesen war, breitete sich nun eisige Kälte aus. Sie sickerte in meinen Magen, die Beine, Füße, Arme, Hände und ganz zum Schluss in meinen Kopf. Wie in einem Filmtrailer liefen die Ereignisse der vergangenen Tage vor meinem inneren Auge ab, unterlegt mit den Klängen von
The winner takes it all:
Vom ersten Kuss in diesem Beichtstuhl bis zu seiner Liebeserklärung vorhin im Keller. Alles eine groß angelegte Manipulation - bis auf wenige Unterbrechungen, in denen er wahrscheinlich ganz er selber gewesen war - perfekt gemacht. Und diese verdammte Violine hatte mir den Rest gegeben.
    Obwohl ich später versuchte, es mir in Erinnerung zu rufen, wusste ich hinterher nicht mehr genau, worüber der Graf und ich gesprochen hatten, denn seit die Kälte von mir Besitz ergriffen hatte, war mir alles egal. Das Gute war, dass der Graf den Großteil unseres Gespräches selber bestritt. Mit seiner weichen, angenehmen Stimme erzählte er mir von seiner Kindheit in der Toskana, vom Makel seiner unehelichen Abstammung, von den Schwierigkeiten, seinen leiblichen Vater aufzuspüren, und davon, wie er sich schon als Junge mit den Geheimnissen des Chronografen und der Prophezeiungen beschäftigt hatte. Ich versuchte wirklich zuzuhören, schon weil ich wusste, dass ich Leslie jedes Wort würde wiedergeben müssen, aber es half nichts, meine Gedanken kreisten immer nur um meine eigene Dummheit. Und ich sehnte mich danach, allein zu sein, um endlich weinen zu können.
    »Marquis?« Der mürrische Sekretär hatte angeklopft und die Tür geöffnet. »Die Delegation des Erzbischofs ist hier.«
    »Oh, das ist gut«, sagte der Graf, erhob sich und zwinkerte mir zu. »Politik! In diesen Zeiten wird sie immer noch auch von der Kirche bestimmt.«
    Ich rappelte mich ebenfalls hoch und machte eine Reverenz.
    »Es war mir eine Freude, mit dir zu sprechen«, sagte der Graf. »Und ich bin jetzt schon gespannt auf unser nächstes Treffen.«
    Ich murmelte irgendetwas Zustimmendes.
    »Bitte entrichte Gideon meine Empfehlungen und mein Bedauern darüber, dass ich ihn heute nicht empfangen habe.« Der Graf nahm seinen Stock und ging zur Tür. »Und wenn du einen Rat von mir willst: Eine kluge Frau versteht es, ihre Eifersucht zu verbergen. Wir Männer fühlen uns sonst immer gar so sicher . . .« Ein letztes Mal hörte ich das leise, weiche Lachen, dann war ich allein. Allerdings nicht lange, denn nach ein paar Minuten kam der mürrische Sekretär
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