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Sanctus

Sanctus

Titel: Sanctus
Autoren: Simon Toyne
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ausgebreitet und den Kopf gesenkt. Er sah tatsächlich wie ein menschliches Kreuz aus ... oder wie der leibhaftige, einsame Christus.

K APITEL 9
    In den Hügeln westlich von Trahpah, in einer Obstplantage aus dem Mittelalter, führte Kathryn Mann eine Gruppe von sechs Freiwilligen über die mit Fallobst bedeckte Erde. Jedes Gruppenmitglied trug einen Ganzkörperanzug aus schwerem weißen Leinen und dazu einen breitkrempigen Hut mit langem schwarzen Schleier. Im Licht des frühen Morgens sahen sie wie eine antike Druidensekte auf dem Weg zum Opferritual aus.
    Kathryn erreichte ein aufrecht stehendes Ölfass, das mit einer Plane bedeckt war. Sie machte sich daran, die Steine wegzuräumen, die die Plane hielten, und ihre Freiwilligen schwärmten stumm hinter ihr aus. Die ausgelassene Stimmung, die noch im Minibus geherrscht hatte, als sie durch die leeren Straßen gefahren waren, war schon längst verflogen. Kathryn nahm den letzten Stein herunter. Irgendjemand hielt ihr eine Imkerpfeife hin. Für gewöhnlich wurden die Bienen umso aktiver, je wärmer es war, und desto mehr musste Kathryn sie einräuchern. Doch trotz der immer stärker werdenden Hitze sah Kathryn bereits jetzt, dass es bei diesem Stock nicht anders war als bei den anderen auch. Kein Summen war zu hören, und der trockene rote Ziegelstein, der den Tieren als Landeplattform diente, war leer.
    Kathryn blies flüchtig ein paar Rauchwolken in den Stock und nahm dann den Deckel ab. Acht regelmäßig angeordnete Holzrahmen kamen darunter zum Vorschein. Es war eine ganz einfache Art von Bienenstock, wie man ihn aus jeder Art von Resten bauen konnte. Die Expedition in den Obsthain war eigentlich als Demonstration zum Thema Bienenhaltung gedacht gewesen. Die Freiwilligen sollten hier etwas lernen, das sie in den unterschiedlichen Gegenden der Welt zum Einsatz bringen konnten, in die man sie für das nächste Jahr schicken würde. Doch nachdem sie einen Stock nach dem anderen untersucht hatten, hatte die Expedition sich in eine Begegnung mit etwas gewandelt, das wesentlich beunruhigender war.
    Als der Rauch sich verzog, zog Kathryn vorsichtig einen Rahmen aus dem Fass und drehte sich zu der Gruppe um. Unter dem Rahmen hing eine große, unregelmäßig geformte Wabe, die jedoch fast gar keinen Honig enthielt; dabei war der Stock vor kurzem noch sehr geschäftig und der Ertrag ergiebig gewesen. Nun waren jedoch nur noch ein paar frisch geschlüpfte Arbeiterinnen zu sehen.
    »Ein Virus?«, fragte eine männliche Stimme.
    »Nein.« Kathryn schüttelte den Kopf. »Schauen Sie sich das an ...«
    Die Freiwilligengruppe rückte näher an Kathryn heran.
    »Wenn ein Stock von CBPV, dem Chronischen Bienenparalysevirus, befallen ist, dann beginnen die Bienen zu zittern. Sie können nicht mehr fliegen und sterben um den Stock herum. Aber jetzt schauen Sie mal auf den Boden.«
    Sechs Hüte beugten sich vor und suchten das nasse Gras im Schatten des Apfelbaums ab.
    »Nichts«, sagte Kathryn. »Und jetzt schauen Sie in den Stock.«
    Die Hüte hoben sich wieder, und die breiten Krempen stießen aneinander.
    »Hätte ein Virus das verursacht, wäre der ganze Boden voller toter Bienen. Sie sind wie wir: Fühlen sie sich krank, fliegen sie nach Hause und kauern sich zusammen, bis es ihnen wieder besser geht. Aber da ist nichts. Die Bienen sind einfach verschwunden. Doch da ist noch etwas anderes ...«
    Kathryn hielt den Rahmen hoch und deutete auf den unteren Teil der Wabe, wo die achteckigen Zellen mit winzigen Wachsdeckeln verschlossen waren.
    »Ungeschlüpfte Larven«, erklärte Kathryn. »Normalerweise geben Bienen einen Stock nicht auf, wenn noch Larven schlüpfen müssen.«
    »Aber wenn es kein Virus war, was ist dann passiert?«, fragte jemand.
    Kathryn steckte den Rahmen in den stummen Stock zurück. »Ich weiß es nicht«, antwortete sie, »aber es passiert überall.« Sie machte sich auf den Weg zu der vernagelten Hütte am Rand des Haines zurück. »Aus Nordamerika und Europa wird das Gleiche berichtet und sogar aus Taiwan. Bis jetzt hat jedoch noch niemand den Grund dafür herausgefunden. Nur in einem sind sich alle einig: Es wird schlimmer.«
    Kathryn zog die Handschuhe aus, als sie den Bus erreichte, und warf sie in eine leere Plastikkiste. Die anderen taten es ihr nach.
    »In Amerika nennt man dieses Phänomen ›Colony Collapse Disorder‹, also ›Völkerkollaps‹. Für manche Leute ist das ein sicheres Zeichen für das Ende der Welt. Einstein hat mal gesagt, wenn
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