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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition)
Autoren: T.C. Boyle
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stark, dass sie nicht sicher war, ob er es gehört hatte.

DAS HAUS
    Adolph schaffte es, das Boot durch die Brandung zu rudern, ohne dass es kenterte, und das war eine Leistung. Sein Gesicht war grimmig wie das eines Soldaten unter Beschuss, und unter dem Stoff der Jacke spannten sich die Muskeln seiner Arme. Lange waren sie einfach auf dem Wasser getrieben, kurz vor der Stelle, wo die Wellen begannen, sich zu brechen, und Marantha war schon ungeduldig geworden – die Mädchen ebenfalls –, denn der Strand und der Weg hinauf zum Haus lagen vor ihnen, und was tat er denn, dieser Dummkopf, dieser Adolph, wo sie doch darauf brannten, festen Boden unter den Füßen zu spüren und zu sehen, was das Haus zu bieten hatte? Schließlich aber ging ihr auf, was er tat: Er beobachtete die Dünung und wartete auf eine Lücke, die es ihnen erlauben würde, sich auf dem Kamm einer Welle auf den Strand tragen zu lassen, ohne dass das Boot von der nächsten in Stücke geschlagen wurde. Sie zählte eine Welle nach der anderen, Möwen schrien und das Boot schaukelte, und dann legte Adolph sich plötzlich in die Riemen, dass die Dollen knarzten und ihnen Gischt ins Gesicht spritzte, und im nächsten Augenblick waren sie an Land, sprangen aus dem Boot und zogen es am Bugseil auf den Strand, ohne Rücksicht auf Schuhe oder Röcke oder darauf, dass der Wind ihnen die Hutkrempe ins Gesicht schlug.
    Für die Mädchen war es ein Riesenspaß. Beide waren nass bis zu den Knien und jauchzten begeistert, während sie selbst es schaffte, ihre Stiefel trocken zu halten, indem sie mit hüpfenden Schritten vor der Zunge aus weißem Schaum floh, die hinter ihr und rechts und links, so weit das Auge reichte, den Strand hinauffuhr, doch der Saum ihres Rocks war dunkel und feucht und gesprenkelt mit hellen Sandkörnern, die bereits daran klebten. Sie atmete heftig, aber tief und mühelos. Hätte sie es nicht besser gewusst, hätte sie nicht letzten Monat erst einen Blutsturz gehabt, dann hätte sie vielleicht geglaubt, sie sei ganz gesund.
    Der Sand unter ihren Füßen gab nach. Überall ringsum krabbelten und hüpften winzige, durchscheinende Wesen. Der Geruch – Tang, Gischt, neue, frische Luft – war herrlich und versetzte sie in ihre Kindheit in Massachusetts, zu den schwülen Sommertagen, an denen ihr Vater mit der ganzen Familie an den Strand gefahren war. Schwül war es hier allerdings nicht. Weit davon entfernt. Die Lufttemperatur betrug wenig mehr als zehn Grad, und durch den Wind fühlte es sich noch kälter an. »Edith!« rief sie. »Du wirst dir in den nassen Kleidern den Tod holen!« Sie konnte nicht anders, auch wenn sie ein Auge hätte zudrücken sollen.
    Edith hörte sie nicht. Edith war vierzehn, hochaufgeschossen und gutaussehend, so entwickelt, als wäre sie zwei, drei Jahre älter, und sie war eigensinnig. Sie ging mit voller Absicht in die Brandung, unter dem Vorwand, das Gepäck am hinteren Ende des Boots zu entladen, wo sie doch ebensogut vorn hätte anfangen können, und sie und Ida – die es eigentlich hätte besser wissen müssen – machten ein Spiel daraus, nahmen mal dieses, mal jenes Bündel und rannten damit auf den Strand, wo sie alles zu einem ungeordneten Haufen aufstapelten, während Adolph, unter jedem Arm einen Sack, über den Sand stapfte und dabei zwei der Eichenstühle hinter sich herzog, ohne einen Gedanken an den Lack oder die von ihr selbst genähten Kissen zu verschwenden. Der Schrankkoffer, in dem sie ihre persönlichen Dinge – Briefe, Briefpapier und Umschläge, Schreibutensilien, ihren Schmuck, die akkurat gefalteten Kleider – sorgsam verpackt hatte, lag noch im Boot, und der Lederbezug schimmerte vor Nässe. Sie wollte Adolph zurufen, er solle den Koffer holen, bevor er ganz ruiniert war, doch sie wusste nicht, wie sie ihm eine Anweisung erteilen sollte – sie kannte ihn ja kaum, und der unwirsche Blick, den er ihr zuwarf, machte die Sache nicht gerade leichter.
    Aufgeregt und verärgert – und zitternd, denn ihr war kalt – sah sie sich um und fragte sich, wo der Junge mit dem Maulesel und dem Schlitten war, der sie hinauf zum Haus bringen sollte. Das war noch so etwas: Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was für ein Schlitten das sein sollte. Die Schlitten, die sie kannte, dienten dazu, verschneite Hügel hinunterzufahren, oder wurden von Pferden über schneebedeckte Straßen gezogen, doch hier, hatte Will ihr versucht zu erklären, handelte es sich um eine Art Lastschlitten:
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