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Samuraisommer

Samuraisommer

Titel: Samuraisommer
Autoren: Ake Edwardson
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einem Traum zu kommen.
    „Die Kinder sind oben eingeschlossen“, fuhr ich fort. „Wir müssen sie
rausholen.“
    Sie antwortete nicht.
    „Wo sind die Schlüssel?“
    Wieder antwortete sie nicht.
    „WO SIND DIE SCHLÜSSEL?“
    Als ich lauter wurde, geschah etwas mit ihr. Ihre Augen schienen auf
einmal wieder zu sehen und ein Zucken ging durch ihren Körper, als würde sie
plötzlich frieren.
    „Ich war es nicht“, sagte sie.
    „Was?“
    „Ich war es nicht“, wiederholte sie. „Ich hab nie jemandem etwas
Böses getan, oder?“ Sie machte einen Schritt vorwärts.
    „Oder, Tommy! Kenny! Ihr habt es doch immer gut bei mir gehabt, oder?
Du bist mehrere Sommer hier gewesen. Du weißt es, Kenny!“
    Jetzt hörte ich Schreie aus dem Speisesaal. Vielleicht hatte sich das
Feuer ausgebreitet. Vielleicht war es nicht mehr möglich, das Haus über die
Treppe zu verlassen.
    „Geben Sie mir nur die Schlüssel“, sagte ich.
    Ich war immer noch ruhig, aber gleichzeitig war ich
schrecklich nervös. Das hier war meine Prüfung zum Samurai. „Du kriegst die
Schlüssel. Wenn du ... nichts sagst.“ Sie machte noch einen Schritt.
    „Von dem, was passiert ist. Mit diesem ...
Mädchen.“
    „Was ist denn passiert?“, fragte ich.
    „Es war nichts“, sagte sie. „Nichts ist passiert.“
    Wie immer hier, dachte ich. Nichts von dem, was hier geschehen ist,
ist passiert. Nicht einmal das Schlimmste.
    „Dann gibt es ja auch nichts, worüber ich reden könnte“, sagte ich.
„Wenn nichts passiert ist.“
    „Dir wird sowieso niemand glauben, Kenny.“
    Jetzt hielt sie das Schlüsselbund in der Hand. Es waren vier, fünf
Schlüssel. Sie baumelten an einer kleinen dünnen Kette.
    „Dann ist es doch egal, ob ich was sage oder nicht“, sagte ich.
    „Aber es ist so unnötig“, sagte sie, „jemanden zu beschuldigen, der
nichts getan hat.“
    Ich roch den Rauch. Sie roch ihn sicher auch. Aber ihr war es
wichtiger, mein Schweigen mit diesen Schlüsseln zu erkaufen, als das Camp vorm
Abbrennen zu bewahren und die Kinder aus dem Schlafsaal zu retten.
    Nie würde sie mir die Schlüssel geben, wurde mir klar. Plötzlich hörte
ich schwere Schritte im Obergeschoss, sie dröhnten durch die Decke. Ich
vermutete, dass es Kerstin und die anderen waren, die versuchten, die Tür zum
Schlafsaal aufzubrechen, aber das würde schwer werden. Die Türen waren massiv
wie in jedem Gefängnis.
    Das Gepolter hörte auf und es wurde wieder still. Brandgeruch lag in
der Luft, aber die Geräusche waren verstummt. Es war, als wären die Alte und
ich ganz allein. Und irgendwie hatte es sich immer so angefühlt. Kenny gegen
die Alte. Hier gab es keinen Christian, ich hatte noch keine Zeit gehabt,
darüber nachzudenken, wo er geblieben war. Ich hatte nicht einmal Zeit gehabt,
darüber nachzudenken, wo Klops war.
    Die Schlüssel klirrten. Die Alte ließ“ die Kette immer noch an ihrem
Zeigefinger baumeln. Wieder hörte ich ein Dröhnen aus dem Obergeschoss. Und es
klang, als würde jemand um Hilfe schreien. Die Alte stand nur einige Schritte
von mir entfernt. Zwischen uns waren vielleicht drei Meter.
    Ich zog mein Schwert. Sie machte einen großen Schritt auf mich zu, als
wollte sie mich angreifen, und genau in dieser Zehntelsekunde stürzte ich
vorwärts und schlug die Schlüsselkette einen Zentimeter unter dem Zeigefinger
der Alten ab. Die Schlüssel fielen langsam zu Boden, fast wie im Zeitlupentempo.
Ich sah, wie die Alte langsam ihren Finger krümmte und ihn betrachtete.
    Es war kein Bluttropfen daran. Die Kette hing noch am Finger wie ein
dünner Wurm, aber in der nächsten Sekunde würde sie herunterfallen. Erst jetzt
hörte ich, wie die Schlüssel zu Boden fielen. Ich steckte das Schwert zurück,
bückte mich und raffte die Schlüssel zusammen. Dann lief ich zur Tür, an der
Alten vorbei, die immer noch dastand und ihren Finger anstarrte.
     
    Der Speisesaal war voller Rauch. Ich hörte Husten. Als ich mich
umdrehte, entdeckte ich die Köchin, die an einem der langen Esstische saß. Es
war das erste Mal, dass sie dort saß. Sie hustete wieder und schaute auf,
schien mich aber nicht zu bemerken. Vielleicht kam es vom Rauch, vielleicht war
es etwas anderes. Sie guckte wieder auf den Tisch und schüttelte den Kopf.
    Ich lief die Treppe hinauf. Der Truppe war es gelungen, ein Loch in
die Tür zu schlagen, aber es war zu klein. Sie benutzte einen kleineren Tisch
als Mauerbrecher.
    „Ich hab die Schlüssel“, sagte ich. „Geht mal weg.“
    Der dritte
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