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Samuel Carver 01 - Target

Samuel Carver 01 - Target

Titel: Samuel Carver 01 - Target
Autoren: Tom Cain
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geringer. Die Flossen kamen den Rotorblättern immer näher, bis sie sie mit einem metallischen Kreischen streiften und den Rotor augenblicklich blockierten wie der Besenstiel ein Speichenrad.
    Bei dem plötzlichen Ruck rissen die Rotorblätter ab. Die angesägten Schrauben brachen wie Salzstangen, und das ganze Leitwerk stürzte, im Licht der aufgehenden Sonne glänzend wie Kupfer, in die Adria.
    Der Hubschrauber drehte sich mit zunehmender Schnelligkeit um die eigene Achse. Skender Visar, der bei vielen menschlichen Seelen die Aufsicht über einen erniedrigenden Tod geführt hatte, reagierte auf seinen eigenen bevorstehenden Untergang mit einem raubtierhaften Geheul. Doch der Pilot schaltete einfach den Motor ab, sodass sich die Hauptrotorblätter von selbst weiterdrehten wie die Flügel einer Windmühle.
    Für einen kurzen Moment war das Gleichgewicht wiederhergestellt. Der Rumpf hörte auf, sich zu drehen. Visar grinste kläglich, um seine Feigheit zu verschleiern. Der Pilot setzte einen Notruf ab und forderte Hilfe an. Eine Bell 206 Jetranger sinkt im Autorotationsflug mit 27 km/h. Mit einem erfahrenen Piloten in der Kanzel sind die Überlebenschancen gut, selbst bei einer Landung auf dem Wasser. Aber Carver hatte noch auf etwas anderes gesetzt.
    Der Heckrotor wird von einer Antriebswelle getrieben, die vom Motor am Heckausleger entlang verläuft. Die Kraft kann ohne Getriebegehäuse nicht auf den Rotor übertragen werden. Dieses Gehäuse besteht aus einem schweren Metallstück und sitzt am Ende des Heckauslegers, wo es auch als Gegengewicht zu Kabine und Motor dient.
    Als der Heckrotor abriss, riss er auch das Getriebegehäuse aus seiner Verankerung, sodass es am beschädigten Ende des Auslegers herabbaumelte. So blieb es zehn bis fünfzehn Sekunden lang, während die Schwerkraft daran zog und der Wind es hin und her schleuderte. Dann gab die Verbindung mit der Antriebswelle nach, und das Gehäuse stürzte ebenfalls ins Meer.
    Ohne das Gegengewicht geriet die Jetranger gänzlich aus dem Gleichgewicht. Im einen Moment sah der Pilot noch in den Himmel, im nächsten blickte er auf Wasser, und der Hubschrauber hatte aufgehört, ein funktionierendes Luftfahrzeug zu sein. Er verwandelte sich in einen Metallsarg mit Sichtfenster, der auf das wogende Wasser zustürzte. Der Pilot hörte nur noch das Brausen der Luft und den Todesschrei von Skender Visar.

    Samuel Carver war fest eingeschlafen, als der Menschenhändler starb. Stunden zuvor war er zu dem gemieteten Motorboot zurückgeschwommen, das er hinter der Landzunge der Bucht festgemacht hatte, an der Visars Villa stand.
    Er schälte sich aus dem Taucheranzug, trocknete sich ab und zog sich ein Paar Jeans und ein weites Baumwollhemd über, bevor er sich auf den Weg machte. Er kehrte an den Touristenort auf Hvar zurück, wo er ein Zimmer hatte, vertäute das Boot und nahm in einem Restaurant am Strand ein spätes Abendessen zu sich. Zu den gegrillten Meeresfrüchten bestellte er eine kalte Flasche Posip Cara, den frischen Weißwein von der Nachbarinsel Korcula. Er aß an einem Tisch auf der Terrasse und betrachtete die vorbeiflanierenden Mädchen. Dann ging er wie ein normaler Tourist in sein Hotel zurück, wünschte dem Portier eine gute Nacht und legte sich schlafen.
    Am nächsten Morgen frühstückte Carver frische Brötchen und süßen schwarzen Kaffee, bevor er auscheckte und bar bezahlte. Als einer von vielen anonymen Sommerurlaubern bestieg er eine Fähre nach Italien, zum Hafen von Pescara. Dort kaufte er sich eine Zugfahrkarte, bei der das Vorzeigen von Ausweispapieren nicht verlangt wurde und Barzahlung nichts Ungewöhnliches war, sodass seine Reise keine Spuren hinterließ.
    Carver reiste Erster Klasse. Er las ein Buch, in dem es nicht um Vögel ging, schloss sich der Unterhaltung an, wenn die Mitreisenden in Plauderstimmung waren, und nahm unterwegs zwei kleine Mahlzeiten ein. Er tat alles, um nicht daran zu denken, was er getan hatte.

ZEHN TAGE SPÄTER

1
    Der Mann lächelte vor sich hin, als er in das nussbaumgetäfelte Zimmer ging, und genoss nach der sengenden Augusthitze die Kühle der Klimaanlage. Er schob die Sonnenbrille auf das schüttere schwarze Haar, das millimeterkurz geschnitten war. Auch das Halbdunkel empfand er als erholsam. Die Völker des kalten, düsteren Nordens mochten ja glücklich sein, wenn sie sich in den Sommerferien ihre milchweiße Haut rot braten ließen; aber er war unter dieser Sonne geboren. Darum fürchtete er ihre Kraft
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