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Sam & Emily: Kleine Geschichte vom Glück des Zufalls (German Edition)

Sam & Emily: Kleine Geschichte vom Glück des Zufalls (German Edition)

Titel: Sam & Emily: Kleine Geschichte vom Glück des Zufalls (German Edition)
Autoren: Holly Goldberg Sloan
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war ihm egal, dass die große Holztür Lärm machte. Er drückte den Messingriegel nach unten und schon war er draußen.
    Im Nu war er um die Kirche herumgelaufen und stand neben dem Mädchen, dem es gar nicht gut zu gehen schien. Er legte eine Hand auf ihre Schulter. Ihre Augen waren feucht. Aber er wollte nicht, dass sie weinte. Wenn sie weinte, musste er vielleicht auch weinen. Und warum eigentlich?
    Seine Gefühle zu verdrängen, das hatte er gelernt. Darin war er Experte. Was hatte er dann hier hinter der Kirche überhaupt verloren? Man erwartete doch von ihm, dass er sich unsichtbar machte. Oder etwa nicht?
    Oder etwa nicht?
    Und plötzlich hörte er sich sagen: »Dir wird’s gleich wieder besser gehen. Bestimmt… ist ja schon gut ...«
    Er tröstete sie. Er tröstete das Mädchen, das nicht singen konnte und das man so bloßgestellt hatte. Ihre Chorrobe öffnete sich und sie schüttelte sie ab, sodass er die schwarze Hose sehen konnte, die wie angegossen an ihren schmalen Beinen saß, und die frische weiße Bluse, die sich an ihren kleinen, verschwitzten Körper schmiegte.
    Plötzlich hätte Sam sie am liebsten gepackt und sich mit ihr auf ein Motorrad geschwungen, um auf und davon zu fahren. Er konnte zwar nicht Motorrad fahren, aber er hatte so was mal in einem Film im Fernsehen gesehen; der Typ trug eine Militäruniform und das Mädchen kannte ihn und wollte von ihm gepackt werden.
    Sie starrte ihn an, aber plötzlich schien ihr alles zu viel zu sein. Abrupt wandte sie sich von ihm ab.
    Dann trat ihr Frühstück aus Toast, Eiern und Schinken zum zweiten Mal an diesem Morgen auf den Plan.
    Und zwar weil dieses Mädchen ihn nicht kannte – und selbst wenn, hätte sie niemals was mit ihm zu tun haben wollen. Sie hatte ihn einmal lang und intensiv angesehen und schon war ihr schlecht geworden. Das Singen mochte auch noch dazu beigetragen haben. Er streckte die Hand aus und griff instinktiv nach ihren langen Haaren, um sie vor dem nächsten Würgeanfall zu schützen.
    Er wünschte, er hätte einen Lappen, ein Handtuch oder irgendetwas da, womit sie sich den Mund abwischen konnte. Aber er hatte nichts und dann öffnete sich plötzlich der Nebeneingang der Kirche und vor ihnen stand eine Frau. Sie sagte: »Emily, ist alles in Ordnung?«
    Sam ließ ihre Haare los und die Hände sinken, trat zur Seite und dann war es vorbei.
    Ruiniert.
    Kaputt gemacht.
    Er drehte sich auf dem Absatz um und machte sich davon – eilig, aber ohne zu laufen.
    Weit weg.
    Weit weg von ihr.
    ***
    Emily blickte nach links zu ihrer Mutter, die auf sie zugelaufen kam, und dann wieder nach rechts zu dem Jungen, und da bemerkte sie, dass er verschwunden war. Wieder spürte sie Angst in sich aufsteigen. Wo war er? Aber vor allem: Wer war er?
    Und dann war auch schon ihre Mutter bei ihr, hob das Chorkleid vom Boden auf und wischte ihrer Tochter damit über die Stirn. Emily war heiß und die Schweißtropfen liefen ihr übers Gesicht.
    You and I must make a pact.
We must bring salvation back.
Where there is love, I’ll be there.
    Aber sie wusste seinen Namen nicht. Sie wusste von ihm überhaupt nichts.
    Emily schloss die Augen. Im orangefarbenen und roten Flimmern ihrer Augenlider sah sie den Parkplatz vor sich und die Kirche der unitarischen Gemeinde. Vielleicht hatte sie sich das alles ja nur eingebildet. Sich irgendwelche Geschichten ausdenken, gleichsam aus dem Nichts, das machte sie häufiger. Sie las alles Mögliche aus den Gesichtern der Leute und stellte sich merkwürdige Zwischenfälle vor. So war sie eben. War das Neugier? Hatte sie einfach zu viel Fantasie? War sie vielleicht sogar etwas verrückt?
    Aber dann öffnete sie die Augen wieder und in der Ferne sah sie ihn am Straßenrand den Hügel hinaufgehen, in Richtung Cole Street. Seine Gestalt wurde immer kleiner.
    Er war wirklich.
    Er war da gewesen.

4
    Sam ging nach Hause, um Riddle abzuholen.
    Aber in seinem Kopf blitzten immer wieder Bilder von ihr auf. Dieses Mädchen. Wie sie ihn angeschaut hatte. Das Mädchen, das nicht singen konnte.
    Riddle würde die Bilder aus seinem Kopf vertreiben; er hatte seine eigene Sicht auf die Dinge. Riddle mit seinen grauen Augen und seinem keuchenden Atem. Riddle brauchte Sam. Obwohl die beiden Brüder altersmäßig nur fünf Jahre auseinanderlagen, kam es ihnen selbst und allen anderen so vor, als sei es eher noch mehr.
    Sam war groß und schlaksig, Riddle klein und kompakt. Sam hatte dunkle Haare, Riddle aschblonde. Riddle erfasste nur die
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