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Sam & Emily: Kleine Geschichte vom Glück des Zufalls (German Edition)

Sam & Emily: Kleine Geschichte vom Glück des Zufalls (German Edition)

Titel: Sam & Emily: Kleine Geschichte vom Glück des Zufalls (German Edition)
Autoren: Holly Goldberg Sloan
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aufhören. Sie schaute ihn einfach immer weiter an.
    Die Worte, die sie sang, nahmen für sie tatsächlich eine neue Bedeutung an. Hatte ihr Vater das nicht von ihr gewollt? Wollte er nicht, dass sie mit eigener Empfindung füllte, was sie da sang?
    Sie fühlte sich, als hätte sie sich aus ihrem eigenen Körper gelöst.
    Ihre Lippen bewegten sich und es kamen Laute aus ihrem Mund, aber sich selbst spürte sie darin nicht mehr.
    Was sie allein noch spürte, war die Gegenwart des Jungen in der letzten Reihe.
    ***
    Richtig singen konnte sie nicht.
    Das stand fest.
    Fest stand aber auch, dass sie ihn fesselte. Völlig schutzlos war sie sämtlichen Blicken ausgesetzt und traf den Ton nicht richtig. Aber sie sang nur für ihn.
    Wieso tat sie das?
    Er bildete sich das doch nicht ein.
    Das Mädchen mit den langen braunen Haaren hielt die kleinen Hände fest an die Seite gepresst, und ob es nun daran lag, dass sie so schlecht sang oder dass sie ihn direkt ansah und nur für ihn zu singen schien – jedenfalls konnte er den Blick nicht von ihr wenden.
    Sie wolle für ihn da sein, sang sie.
    Für ihn war niemals jemand da. So war es nun einmal. Wie kam sie nur dazu, so was zu ihm zu sagen?
    Etwas, das so intim war, dass es mit einem Mal wehtat.
    Nicht nur ihr.
    Sondern auch ihm.
    Sehr weh sogar.

3
    Für Sam stand lange fest, dass seine Mutter Riddle und ihn befreien würde.
    Sobald sie merkte, dass sie verschwunden waren, würde sie ganz bestimmt die Polizei benachrichtigen, die Feuerwehr (holten die nicht auch Katzen von den Bäumen runter?) oder Mrs Holsing, seine Lehrerin. Vielleicht sogar die Nachbarn. Die Natwicks zum Beispiel, die in dem blauen Haus weiter unten in der Straße wohnten und ihm immer zuwinkten, wenn er vorbeiging. Und dann würden sie alle nach ihm und Riddle suchen. Ganz sicher sogar.
    Natürlich spielte sich anfangs auch alles genauso ab. Aber seine Mutter war nun einmal nicht der Typ Frau, der andere hinter sich scharte. Dazu fehlte es ihr nicht nur an Entschlossenheit, sondern auch an den erforderlichen Führungsqualitäten. Und das war nicht ihre Schuld.
    Als Baby hatte ihre Mutter sie einmal für einen Moment auf der Arbeitsplatte in der Küche abgesetzt, als sie vom Markt nach Hause kam. Sekundenlang nur hatte sie der kleinen Shelly den Rücken gekehrt, aber irgendwie hatte das Kind es geschafft, sich aus seinem Plastikkorb, einem Vorläufer der heutigen Kindersitze, herauszustrampeln. Die Gurte waren schwer zu schließen. Und wozu brauchte man sie schon?
    Shellys Kopf schlug mit einem so dumpfen Knall auf dem Boden auf, dass es sich anhörte, als habe jemand mit einem Stock auf eine Wassermelone eingeschlagen. Volle fünf Minuten lang war sie bewusstlos und kam erst wieder zu sich, als der Kombi der Familie auf den Parkplatz der Notfallambulanz fuhr.
    Die Ärzte behielten Shelly über Nacht im Krankenhaus und meinten dann, wahrscheinlich habe sie noch einmal Glück gehabt. Shellys Familie konnte nicht abstreiten, dass sie ein herzensgutes Kind war, ruhig und pflegeleicht. Aber nach diesem Tag konnte sie die Intelligenz ihres Vaters oder das musikalische Talent ihrer Mutter nicht mehr entwickeln. Und wollte man ihr Gehirn mit einem Computer vergleichen, so hatte der Sturz auf den Küchenboden wohl ganze Bereiche ihrer Festplatte gelöscht.
    Sobald Sams Vater sich mit ihren Jungs abgesetzt hatte, fing Shelly an, regelmäßig ins My Office zu gehen. Der Clou an dem Ding war die Drehtür am Eingang. Sonst gab es nämlich keine in der Stadt und dieses Teil aus Metall und Glas, das man aus einer ehemaligen Sparkasse in Denver gerettet hatte, erweckte tatsächlich den Anschein, als könnte der Laden interessant sein.
    In Wirklichkeit aber hatte die Kneipe den Charme der Stehtischecke vom Supermarkt nebenan und der einzige weitere Versuch, so etwas wie eine Büroatmosphäre herzustellen, bestand lediglich darin, dass man die Bar in einer ramponierten Aktenschrankwand untergebracht hatte.
    Shelly ging immer gleich nach der Arbeit dorthin, was ihr über die schwierigste Zeit des Tages hinweghalf. Zur Abendbrotzeit nämlich vermisste sie ihre beiden Jungen am allermeisten, und trank sie nicht, ertappte sie sich dabei, wie sie für Menschen kochte, die es in ihrem Leben nicht mehr gab.
    Im My Office saß sie immer gegenüber der Tür und schlürfte Shirley-Temple-Cocktails in sich hinein, weil die sie an ihre Kinder erinnerten. Allerdings war der rote Sirup in ihren Shirley Temples mit einem doppelten Wodka
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