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Salto mortale

Salto mortale

Titel: Salto mortale
Autoren: Jakob Bosshart
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ge-
    worfener Ball von der Mauer. Da lag er schon,
    und der andere schritt gelassen fluchend über
    ihn weg. Heinz erhob sich und spähte um sich.
    Franz war nirgends zu sehen. Er steuerte zwei-,
    dreimal über den Platz, in verschiedenen Rich-
    tungen. Umsonst. Da wußte er nichts Geschick-
    teres anzustellen, als sich auf gut Glück zu ver-
    lassen, irgendeine der Straßen einzuschlagen,
    die dort zusammenliefen, und vorwärts, im-
    mer vorwärts zu eilen mit spähenden Augen
    und mit dem Wort Franz auf den Lippen.
    Er hastete von Straße zu Straße, mit stets
    wachsender Beklemmung, bis hin zu dem
    Flusse, den er schon einige Male gesehen hatte,
    wenn er an Sonntagen mit der Mutter zum
    Grabe des Vaters gegangen war. Er sah am Ufer
    hinauf und hinab; nichts! Da wußte er sich
    nicht mehr zu helfen. Er stellte sich die Mutter,
    ihr abgehärmtes Gesicht und ihre Vorwürfe
    vor, und er hörte das Wort in den Ohren, das
    sie gerne und etwas leichtsinnig in den Mund
    nahm: „Ich springe ins Wasser!“
    Da sie das Wort immer brauchte, wenn sie
    von etwas gedrückt wurde, hatte sich in Heinz
    die Meinung gebildet, ein Sprung ins Wasser
    müsse ein gutes Mittel sein, sich von allem
    Schweren zu befreien, und ehe ihm noch ein
    klarer Entschluß gekommen war, langte er in
    seiner Herzensnot nach dem Geländer, das sich
    längs des Wassers hinzog, und schon war er
    oben und im Begriffe, sich nach der andern Seite
    in die Erlösung fallen zu lassen, als eine Hand
    ihn derb am Kittelchen faßte und zurückriß.
    Scheltende Worte fielen über ihn her, Fragen,
    was er habe tun wollen, wem er gehöre und wo
    er wohne. Er brach in Tränen aus, sagte, daß er
    seinen Franz verloren habe und in der Schlauch-
    gasse wohne. Ein Arbeiter nahm sich seiner an
    und führte ihn in den ‚Sack‘ zurück. Die Mutter
    war schon zu Hause und in größter Aufregung.
    „Wo hast du mir den Franz gelassen?“ schrie
    sie Heinz an.
    Sie wollte gleich in die Gasse hinabstürzen
    und nach dem Verlornen suchen, kopflos wie
    ihr Ältester. Herr Häberle mußte all seine Ruhe
    und die ganze Beredsamkeit seiner Hände zu-
    sammennehmen, um ihr begreiflich zu machen,
    daß ruhig sitzen zuweilen die beste Art des
    Suchens sei. Und wirklich, eine Viertelstunde
    später hörte man ein leichtes Stapfen von der
    Treppe her und durch die aufgerissene Türe
    purzelte der kleine Reißaus herein. Mit strah-
    lendem Gesicht und lachendem Mund stand
    er da und war ganz verwundert, daß ihn die
    Mutter mit Scheltworten empfangen konnte;
    es war ja so spaßig gewesen in der Stadt und
    alle Leute so freundlich zu ihm!
    Frau Zöbeli schlief nicht in jener Nacht, so
    sehr zitterte ihr der Schrecken in allen Gliedern.
    Als sie am Morgen darauf ihrem Zimmerherrn
    den Kaffee brachte, stotterte sie nach einigem
    Zögern hervor, was sie sich in ihrem Kopfe zu-
    rechtgemacht hatten
    „Ich wollte gern für das Frühstück nichts
    von Ihnen nehmen, wenn Sie ein bißchen nach
    meinen Wildfängen schauen wollten. Ich kann
    bei der Arbeit nicht mehr ruhig sein, wenn ich
    weiß, daß sie mir in die Stadt laufen. Die vie-
    len Leute und Lastwagen und Radfahrer, wie
    bald ist da — ich komme aus dem Zittern nicht
    mehr heraus.“
    Herrn Häberle kam das Anliegen unerwartet,
    die arme Frau sah schon, wie sich seine Hände
    zur Abwehr erhoben.
    „Nur an den Nachmittagen, wenn Sie sonst
    nichts zu tun haben,“ stieß sie ängstlich her-
    vor; „vormittags sind die Buben weniger wild,
    sie haben’s wie die Mücken. Sie würden mir ei-
    nen Stein vom Herzen nehmen, Herr Häberle!“
    Er überlegte immer noch, die eine Hand
    schien „ja“, die andere „nein“ zu sagen. Es wi-
    derstrebte ihm, seiner Freiheit einen Flügel ab-
    zuschneiden; aber er sah die Angst der Frau
    und begriff sie, und was verlor er schließlich an
    den Nachmittagen, die ihn ja doch durch ihre
    Langeweile oft genug quälten?
    „Meinetwegen!“ sagte er brummig, „nur was
    Sie vom Frühstück schwatzten, nämlich, daß ich
    es umsonst haben sollte, aus dem wird nichts!“
    Sie wollte etwas einwenden, aber seine em-
    porgehaltenen ausgespreiteten Hände trieben
    ihr Wort zurück. Da Häberle selber mit dem
    Leben kämpfte, verstand er die Sorgen der
    Mühseligen.
    Sie überschüttete ihn mit den Versicherun-
    gen ihres mütterlichen Dankes, drückte ihm,
    als sie ging, die Hand, und ihre sonst so mutlo-
    sen Augen hatten dabei einen frohen Glanz.
    So wurde Valentin Häberle Kindermädchen.
    In den ersten
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