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Salomes siebter Schleier (German Edition)

Salomes siebter Schleier (German Edition)

Titel: Salomes siebter Schleier (German Edition)
Autoren: Tom Robbins
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verlängern würde, konnte nichts an der Tatsache ändern, dass ihre Tage gezählt waren. Sie war verkrustet, eingedrückt, gesprungen und verschlissen wie der Backenbart eines Ziegenbocks. Trotzdem fand sie Gefallen an ihrer letzten Ruhestätte. Denn Can o’ Beans liebte die Pales-Statue, nein – er/sie betete sie an.
    Painted Stick und Conch Shell, die wenig Mühe gehabt hatten, einander wiederzufinden, als beide erst wieder in ihren alten Stammlanden gelandet waren, hatten ihn/sie eingeladen, sie zum Felsendom zu begleiten, wo sie nun auf diese oder jene Art Unterschlupf gefunden hatten und das Kommen des Dritten Tempels erwarteten, in welcher Form auch immer. Zwar war Can o’ Beans ihnen dankbar für das Angebot, hatte aber trotzdem abgelehnt. «Ich wäre nur im Weg», sagte er/sie. «Ich habe nichts beizusteuern. Und der Messias, sollte er – oder sie – oder es – wirklich auftauchen, braucht keinen Schrott wie mich zwischen den Füßen. Außerdem gefällt es mir hier auf meiner kleinen Plaza. Seht euch nur diese Statue an! Wie böse sie ist, wie unheimlich und lebendig! Und obendrein androgyn! Was das Geschlecht angeht, so sagt dieser Esel alles. Er ist
mein
Tempel von Jerusalem.»
    Die Sonne kletterte höher über der meistumschwärmten, meistumkämpften Stadt der Welt. Die Sonne fühlte sich in Jerusalem zu Hause. Die Sonne hatte ihre Connections in dieser Stadt. Es war zwar ein weiter Weg vom Safeway-Regal gewesen, aber auch Can o’ Beans fühlte sich hier zu Hause. Er/sie saß zwischen den Steinen, so still, wie es sich für ein unbelebtes Objekt gehört, genoss die Wärme, bewunderte Pales und beobachtete die Leute, die kamen, um die Statue zu fotografieren oder mit dem Finger auf sie zu zeigen, viele mit finsteren Gesichtern.
    Etwa um diese Zeit bemerkte Can o’ Beans Boomer Petway. Er fiel ihm/ihr nicht etwa auf, weil er/sie sich nach ihrem gemeinsamen Airstream-Ausflug an ihn erinnert hätte – Boomer war jetzt verkleidet und kaum als der Bursche zu identifizieren, der ihn/sie damals schnöde in der Höhle zurückgelassen hatte –, sondern weil er seinen Gang wiedererkannte. «Ist es nicht komisch», sagte er/sie zu seiner/ihrer Pflegerin und Gefährtin, «dass jeden Morgen um die gleiche Zeit eine andere Person auf haargenau die gleiche Art um die Statue herumhumpelt? Ach, was für ein herrlich verrückter Ort!»
     
    Ellen Cherry fand Jerusalem gar nicht so verrückt. An ihren Platz im verwunschenen Garten des kleinen Steinhauses, das Boomer mit Amos Zif geteilt hatte, drangen die Auswüchse vergangener oder gegenwärtiger Todeskulte nicht vor. Die Februarsonne war gerade warm genug, um ihr Plasma zu erhitzen, und das Licht unglaublich klar. Der unkrautüberwucherte Patio ging in ein Feld von Rosmarin und Disteln über. Geißblatt wand sich bürokratisch um die Stämme des Flieders und der vom Wind gebeugten Kiefern. Vögel zwitscherten Botschaften, die älter waren als alle Prophezeiungen, älter als der Tourismus, und selbst die pelzigen schwarzen Tausendfüßler, die über die bröckelnde Gartenmauer krochen, schienen freundlich gesinnt. Sie trank in kleinen Schlucken ihren Tee, machte Entwürfe auf den Blättern ihres geistigen Zeichenblocks und sog mit jeder Pore ihres Seins das uralte, goldene Licht in sich auf.
    Ellen Cherry erwartete die Rückkehr ihres Ehemanns. Jeden Morgen, nach Sex und Frühstück, kramte Boomer in seinem Spionbeutel, suchte sich eine Verkleidung aus und ging durch die Altstadt zur Plaza unweit des Jaffa-Tores, um sich zu vergewissern, dass sein Kunstwerk über Nacht nicht gesprengt, zensiert oder beschädigt worden war.
    Vom Augenblick seiner Enthüllung vor vierzehn Tagen an hatte das Werk für Aufruhr gesorgt. Die negative Reaktion ging größtenteils auf Pales’ nackte Vorderansicht zurück (ein echtes Schnäppchen: zwei zum Preis von einer), aber viele nahmen auch aus rassischen Gründen Anstoß, da die Figur arabisch und jüdisch zugleich war. Doch nur die wenigsten in der Regierung und anderswo hatten bisher geschnallt, dass der ausgelassene Eselsmensch eine Arabern und Juden gemeinsame uralte Gottheit repräsentierte, denn nur die wenigsten hatten gelernt, dass es der Prinz der Esel war, die Kaiserin der langzahnigen Eselinnen, nach der ihr geweihtes und hart umkämpftes Land – zu Recht oder nicht, das sei dahingestellt – getauft worden war. Wenn diese Information durchsickerte, würden die Bewohner Jerusalems entweder bessere Laune kriegen,
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