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Salomes siebter Schleier (German Edition)

Salomes siebter Schleier (German Edition)

Titel: Salomes siebter Schleier (German Edition)
Autoren: Tom Robbins
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sie von der Erde vertrieben werden?»
    Am Gitter blitzte erneut etwas Rotes auf, aber sie hatte keine Lust, nachsehen zu gehen. Sie stand einfach da, eine Schneeflockenbriefmarke auf der Stirn, als wartete sie darauf, zum Yukon geschickt zu werden, und wunderte sich über Turn Around Norman, bis es nichts mehr zu wundern gab. Dann erinnerte sie sich an die Schlagzeilen, die sie gesehen hatte, und fragte sich:
Warum schaffen wir solche Schlamassel wie den Nahen Osten?
    Der Tanz war vorbei. Alle Schleier waren gefallen. Der Schwall von Epiphanien war verebbt, die innere Stimme verstummt, und das war gut so; sie hatte mehr als genug Hinweise gegeben, mehr als genug Einsichten, mehr als genug, um das sie sich nun selbst kümmern musste. Trotzdem dachte sie daran, sie noch ein letztes Mal um Rat zu fragen. Sie stand in Turn Around Normans Fußstapfen, kniff die Augen zusammen und begann, mehr schlecht als recht die Melodie zu summen, die das I & I den ganzen Nachmittag erfüllt hatte.
    Yeeh yeeh yeeh yeeh yeeh
    Eeena eeena, eh-eh, haj
    Was ist los mit dem Nahen Osten? Warum macht er die ganze Welt verrückt? Warum ist es dort so schrecklich? Und so verdammt hoffnungslos? Ich muss das einfach rauskriegen.
    Lange Zeit hörte sie nichts außer Super-Bowl-Fallout. Das überraschte sie nicht. Sie wischte sich eine Schneeflocke von der Nase (Antarktis, zweiundzwanzig Cents). Was konnte sie anderes erwarten? Ah, aber dann formte sich eine Antwort in ihrem Gehirn, langsam, organisch, wie Honigwaben aus dem Wachs der Bienen.
    Denk doch mal an die Anatomie des Nahen Ostens, sagte die innere Stimme. Hat man ihn nicht den «fruchtbaren Halbmond» genannt, den Schoß, der die menschliche Rasse hervorgebracht hat? Nun, sieh ihn dir heute an. Es ist die fiebrigste, heißeste, zerrissenste, gespannteste, blutigste, traumatisierteste Gegend der Welt. Erinnert dich das an was? Die «Probleme» im Nahen Osten sind nichts anderes als Geburtswehen. Die Welt will gebären, und der Nahe Osten ist ganz offensichtlich die Vagina, aus der, wenn es nicht zu einer Fehlgeburt kommt, die neue Ordnung der Menschheit entstehen wird. Die Wehen sind schwierig und lang, und vielleicht wird es sogar noch schlimmer, bevor endlich das Schreien des Neugeborenen zu hören ist, aber es gibt keinen Grund zu verzweifeln: Etwas Großartiges, etwas Wunderbares, etwas vollkommen Unvorstellbares entsteht im Nahen Osten.
    Willst du mich auf den Arm nehmen?
, fragte Ellen Cherry Charles. Aber dann preschte eine Autoladung Halbwüchsiger vorbei, die das Lied der Super Bowl grölten, und sie hörte nichts weiter und brachte auch keinen zusammenhängenden Gedanken mehr zustande.
    I & I

Am nächsten Abend flog sie nach Jerusalem. Patsy zahlte einen Teil der Unkosten, Spike Cohen den Rest. Ihre Wohltäter brachten sie sogar zum JFK , um sie zu verabschieden.
    Es geschah auf dem Rückweg, hinten im bequemen Polster der Limousine, dass sich Patsy und Spike Cohen ineinander verliebten. Später heirateten sie und zogen nach Brooklyn Heights, wo Patsy Bauchtanzunterricht nahm und ihre weißen Go-go-Stiefelchen endlich die Aufmerksamkeit erhielten, die sie verdienten.
    Bei der bloßen Vorstellung verlor Ellen Cherry eines Tages ihr lebenslanges Faible für Schuhe.
    I & I

Rostiges Metall lenkte die Morgensonne auf sich wie eine Rubinbrosche den Blick eines Einbrechers. Wäre Can o’ Beans ein Mensch gewesen, hätte er/sie sich vielleicht gereckt und gegähnt. Ein neuer Tag begann in Jerusalem, einer Stadt, die in diesem oder jenem baufälligen Zustand schon viele neue Tage gesehen hatte; und auf einem Steinhaufen ein paar hundert Meter westlich des Jaffa-Tores begrüßte die Bohnendose, oder das, was von ihr übrig war, diesen Morgen wie jeden anderen mit der eingerosteten, unbelebten Entsprechung eines Grinsens.
    Der Atlantik, vor dessen Wassern Conch Shell sie nicht ganz schützen konnte, hatte der Dose einen schrecklichen Tribut abverlangt. Oxidierung umschloss sie wie ein orangeroter Fäustling eine Hand, und der Verfall war nicht mehr aufzuhalten. «Ich bin nur ein müder alter Penner neben einem Eisenbahngleis», sagte Can o’ Beans zu einer geliebten Gefährtin. «Ein aufgeplatztes, rostiges Wrack, das zu nichts mehr taugt als einem billigen Schrottplatzblues auf der Mundharmonika.» Natürlich war diese Klage zumindest kokett, wenn nicht sogar ironisch gemeint.
    Die Hoffnung, dass das trockene Klima Israels die Lebenserwartung der Dose um weitere sechs Monate
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