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Salomes siebter Schleier (German Edition)

Salomes siebter Schleier (German Edition)

Titel: Salomes siebter Schleier (German Edition)
Autoren: Tom Robbins
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Vorstellungen von Zeit, Geschichte und dem Leben nach dem Tod. Sie sah, dass die Vergangenheit eine Erfindung jüngsten Datums war, dass Menschen die Gegenwart einer Zukunft opferten, die nie wirklich kam, dass diejenigen, die all ihre Träume auf ein Leben nach dem Tod bezogen, nicht mal eines vor dem Tod hatten; sie sah, dass die Zeit eine Wiese war, kein Highway, und die Psyche ein rund um die Uhr geöffnetes Restaurant, kein Museum, keine Kirche, und dass der Glaube an ein Jenseits in jeder erdenklichen Hinsicht gesundheitsgefährdend war. Im Übrigen würde die Welt so schnell nicht draufgehen, jedenfalls nicht bevor die Sonne in etwa zwei Milliarden Jahren ihren Geist aufgab – und bis dahin würde es längst andere Optionen geben.
    «Aber was ist mit dem Jüngsten Tag?», flüsterte Ellen Cherry leise.
    Jeder
Tag ist der jüngste. So war es immer. So wird es immer sein.
    «Noch was?»
    Ja. Nur das noch. Die Toten lachen über uns.
    «Wow», sagte Ellen Cherry.
    I & I

Stundenlang war Reverend Buddy Winkler in seinem Büro auf und ab geschritten. Hatte seine Knöchel knacken lassen. Mit den Goldzähnen geknirscht. Sich im Gesicht gekratzt, bis die Pusteln aufplatzten und bluteten. Er war so verflixt und gottverflucht
frustriert
. Er hielt es nicht aus! Jessas nee! Diese ungezählten langen, einsamen Monate, Jahre gar, in denen er sich präpariert, gerüstet, vorbereitet hatte auf die monumentale und glorreiche Tat: die Zerstörung des Felsendoms, damit sich an seiner Stelle endlich der Dritte Tempel erheben konnte. Heute, am dreiundzwanzigsten Januar, wären die heiligen Sprengkörper losgegangen. Heute! Und hier hockte er, vom Pech verfolgt, ohnmächtig inmitten von Niggern, Sodomiten und Drogensüchtigen in New York City, nicht nur der Gelegenheit beraubt, seine gottgegebene Mission persönlich zu erfüllen, sondern auch außerstande, zu Hilfe zu eilen, falls die Rabbis und
yeshivas
lospreschten und die verdammte Moschee ohne ihn sprengten (was allerdings nicht wahrscheinlich war, dafür würde die CIA schon sorgen).
    Jessas, er war reif für die Klapsmühle. Er würde noch platzen. Er brauchte ein Ventil für seine rechtschaffene Energie, diese erlösende Wut, mit der Jehova ihn überschüttet hatte.
    Es ging auf fünf Uhr nachmittags zu, als Buddy auf die Idee kam, seine Wut im Isaac & Ishmael’s abzulassen. Wenn es jemals ein Etablissement gegeben hatte, das einen ordentlichen Schlag mit Gottes Fliegenklatsche verdient hatte, dann war es das I & I. Diese humanistischen Friedensapostel! Diese Tänzerin! Dieses Plappermaul Jezabel, ungeratene Tochter von Verlin Charles!
Yep.
Bud malte sich aus, wie er runterspazieren und ihnen ein paar Takte über ihr schändliches Benehmen vorblasen würde. Er rief mehrere zionistische Freunde an, aber sie sahen alle die Super Bowl. Genau wie seine Kontaktleute bei den Streichholzmännern.
Okey-dokey.
Sollten diese Narren den Sabbat mit ihren trivialen Spielchen beflecken. Dann würde Buddy eben allein gehen.
    I & I

Yeeh yeeh yeeh yeeh yeeh
    Yeeh yeeh yeeh yeeh yeeh yeeh yeeh
    Zinga dopla dop lop zinga
    Eh, eh-eh, eeena-eeena ai
    Das ist der Raum, na schön, aber die Kerzen sind niedergebrannt, die Lampen ausgetrocknet, und der blauen Neonreklame ist die Sicherung durchgeknallt. Die Tapete könnte auch nackter Stein sein. Im Dunkeln dort hörte man ein leises, anhaltendes Klappern und ein «Klick klick klick klick». Das sind Jezabels Knochen. Oder rollende Würfel.
    Jetzt war die Kleine vollkommen nackt, bis auf den schmalen purpurroten Schleier, der ihr Gesicht verhüllte. Abu und Spike hatten ihre Befürchtungen längst vergessen. Detective Shaftoe sah nicht so aus, als würde er sie gleich verhaften. Er war selbst gefesselt. Niemand rührte sich, und außer dem Quäken, Dröhnen und Trommeln des Orchesters war kein Laut zu hören, nur Salomes angestrengtes Keuchen. Sie tanzte seit mehr als zwei Stunden und war offensichtlich am Ende ihrer Kräfte. Der Tanz schien an Schwung zu verlieren. Die Wirbel waren jetzt langgezogen, träge und träumerisch, obgleich sie allenfalls einen Bruchteil ihrer Wirkung eingebüßt hatten, wenn überhaupt. Sie tanzte, als stünde sie kniehoch in Fruchtfleisch, und das hypnotisierte Publikum folgte ihr so hilflos, als sei sie der Manschettenknopf am Ärmel eines Zauberers.
    Früher, viel früher an diesem Nachmittag hatte Ellen Cherry mit dem Gedanken gespielt, das Augenspiel auf die Tänzerin anzuwenden, sich dann aber gesagt,
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