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Sakramentisch (German Edition)

Sakramentisch (German Edition)

Titel: Sakramentisch (German Edition)
Autoren: Hannsdieter Loy
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zusammen, die Geschäftsleute und die
Taxifahrer hielten ihre üblichen Klagemonologe. Dienstleistungsunternehmer und
ihre leitenden Angestellten kämpften mannhaft gegen Übelkeit und
Verdauungsstörungen, während sie sich durch die Liste der vorgeschriebenen
Weihnachtsessen mit ihren Kunden arbeiteten. Das Fest der Liebe und der Freude
warf vielversprechend seine Schatten voraus.
    Am Samstagmittag dieser Woche hatte Hadi etwas anderes angezogen als
am Mittwoch, um nicht aufzufallen. Er hatte sich eine Gutsherrenkleidung
übergestreift – ein borstiges Sakko in der Farbe müder Limonen, eine steife
moosfarbene Hose, die bestimmt stehen geblieben wäre, auch wenn er sie nicht
angehabt hätte, und einen dicken Mantel mit Falten an jeder Ecke. Zur Tarnung
trug er eine bombige Sonnenbrille, obwohl es so blendend hell gar nicht war.
Dazu hatte ihm Werner geraten, der jetzige Anwalt und frühere Friseur, der im
Team für die Tarnung zuständig war. So ausgestattet setzte er sich wieder auf
die grün lackierte, vom Optiker geförderte Bank und stellte seine Beobachtungen
an.
    Jenseits der Straße, im Schlagschatten des Riesenweihnachtsbaums,
hatten sich vor dem Beobachtungsobjekt Schlangen wie am Einlass zur
Allianz-Arena gebildet. Als ob Geld abheben oder Kaufen bald gesetzlich
verboten würde. Das Geschäft lief heute gut. Es hatte um neun Uhr begonnen, um
sechzehn Uhr würde es am heutigen Samstag enden, dafür sorgten schon die
Rollläden, die pünktlich heruntergelassen würden.
    Ein Polizeiauto von der nahe gelegenen Inspektion parkte am
Straßenrand. Hadi wurde mit dem typischen Polizistenblick gemustert – langsam
von oben nach unten, kalt und misstrauisch –, als er sich zögernd auf die
Menschenmassen zubewegte. Schau bloß nicht so genau hin, du Bastard. Schreib
bloß nicht mit, was du siehst, du mieses Schwein. (Die Schimpfworte kannte er
aus seinen eigenen Romanen.) Lass mich bloß in Ruhe.
    Freundlich nickte er den beiden Polizisten zu und bewegte seinen Fuß
eine Handbreit weiter, als hätte er sich in die Tausende Flugsuchenden am
Abfertigungsschalter von Ryan Air eingereiht.
    Eine Stunde null zwei Minuten später trat er wieder auf die Straße
hinaus. Das Polizeiauto war verschwunden. Er hatte alles gesehen, was er hatte
sehen wollen. Hatte alle Informationen, die er benötigte. Sein Herz beruhigte
sich wieder. Er atmete aus und lockerte die Schultern.
    Und spannte sie sogleich wieder an.
    Ein riesiger gelber Hummergeländevierradwagen flog mit quietschenden
Reifen heran. Er verdunkelte den Himmel und kam sieben Zentimeter vor ihm zum
Stopp.
    Scheiße, dachte Hadi (auch dieses Wort kannte er nur aus seinen
eigenen Romanen), ist bestimmt ein Undercover-Einsatz. Kaum geplant, schon
haben sie mich.
    Beide Vordertüren des Hummer breiteten sich wie Flügel aus. Links
und rechts heraus sprangen zwei Weihnachtsmänner mit wehendem Bart und
baumelnden Zipfelmützen. Der rechte groß, bauchig und wuchtig, der andere
klein, mickrig und schief.
    »Zur Seite! Mensch, machen Sie doch Platz! Wir haben einen Auftrag
zu erfüllen«, rief der Dicke und schob seine Wampe behände durch die Menge.
    Die Leute machten bereitwillig Platz. Ein Weihnachtsmann war
schließlich etwas Heiliges. Und – seien wir doch ehrlich: Wer ist zu
Weihnachten der wahre Gott? Antwort: Der heilige Weihnachtsmann. Er bringt
schließlich die Geschenke.
    Beinahe hätte Hadi laut »O Tannenbaum« gesungen. Er tat es aber
nicht, denn die beiden Heiligen waren in null Komma nichts im Inneren
verschwunden. Ein beifälliges Raunen ging durch die Menge, und ein breites
Lächeln huschte über Hadis Gesicht und entblößte blitzende, wohlgeformte Zähne,
wie man sie sonst nur in der Fernsehwerbung oder in Kalifornien zu sehen
bekommt.
    »Alles richtig gemacht«, sprach er leise vor sich hin. Hadi war kein
Pessimist.
    An diesem Nachmittag machte sich Artur auf den Weg in die Landklinik.
Er stieg in den klapprigen VW  Golf, den er
bei einem Gebrauchtwagenhändler in Raubling erstanden hatte, nachdem er seinen
flotten Dreier BMW verkauft hatte, um an Bargeld
zu kommen. Auf dem Weg hinaus über Schloßberg und Schechen Richtung Vogtareuth
überschlug er noch einmal seine Finanzen. Er hatte zweitausenddreihundert Euro
brutto verdient, bevor er entlassen worden war. Abzüglich Lohnsteuer,
Solidaritätszuschlag, Kirchensteuer, Krankenversicherung, Pflegeversicherung,
Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung blieben ihm siebzehnhundert
Euro. Das war
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