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Sakramentisch (German Edition)

Sakramentisch (German Edition)

Titel: Sakramentisch (German Edition)
Autoren: Hannsdieter Loy
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Zweck zugutekommt.
    Dem Glück des armen Artur nämlich, der nach all den unverschuldeten
(das war Grundvoraussetzung!) Schicksalsschlägen endlich wieder einen Fuß auf
den Boden bekommen sollte. Unverschuldet in Not Geratenen soll die
Allgemeinheit helfen. Nach einem Erdbeben auf Haiti oder einem AKW -Problem in Japan wurde weltweit geholfen. Die
Überflutungsopfer von New Orleans wurden unterstützt, selbst die trauernden
Hinterbliebenen von Knut, dem Eisbär, genossen die weltweite Sympathie der
Menschheit. Warum sollte das nicht auch im Kleinen funktionieren? Er war
überzeugt von der Qualität seiner guten Absicht. (Ganz im Inneren wollte er
natürlich, wenn er ehrlich zu sich war, einmal selbst ausprobieren, wie es ist,
ein Verbrechen zu begehen.)
    Drüben auf der anderen Seite des Kirchbachs, in der
Wendelsteinstraße, konnte er den spartanisch wirkenden Bau der Sparkasse
erkennen, der sehr an ein Jugendgefängnis erinnerte. Es gab Leute, die
behaupteten, es sei die hässlichste Bank im Gäu.
    Hadi war mitten in seinen Überlegungen, als eine Veränderung
eintrat, die sein Herz zum Stocken und sein Blut zum Gefrieren brachte. Er ließ
die Zeitung sinken, weil er glaubte, das Loch darin hätte sich geirrt.
    Der Dirndl-Gachinger, den er beobachtete, hatte hohe, breite
Fenster. Diese Fenster hatten Rollläden. Diese Rollläden fuhren wie vom Blitz
getroffen herunter. Keine Fenster mehr, nur schwere, fahlbraune Rollläden,
welche die Fenster bedeckten. In derselben Sekunde herrschte … es fällt einem
nur das Wort Funkstille ein. Der Platz war menschenleer.
    Die Tür öffnete sich einen Spalt, eine Hand erschien. Die Hand hielt
ein weißes Schild. Auf dem Schild war in roten Lettern etwas geschrieben, das
Hadi nicht entziffern konnte. Die Hand zitterte nicht, sie zagte auch nicht.
Sie langte nur um die Ecke und hängte das Schild mit den roten Lettern an
etwas, das als Haken gelten konnte. Jedenfalls hing es an einer Stelle, wo
vorher noch nichts gehangen hatte. Es schien, als ob die Welt sich dadurch
verändert hätte. Dann zog die Hand sich wie vom Affen gebissen zurück. Die Tür
schloss sich. Alles wie immer. Nur die Rollläden waren geschlossen und das
Schild hing da. Das Schild mit den roten Lettern. »Mittwochnachmittag
geschlossen!«
    Sakramentisch!, dachte Hadi, wo sammer denn.
    In Oberbayern, auf dem Land, ist der Mittwochnachmittag geschäftlich
so etwas wie ein halber Feiertag. Jüdischer Wochenruhetag ist der Sabbat,
islamischer der Freitag, christlicher im Allgemeinen der Sonntag.
Oberbayerische Landmetzgereien, Landbäckereien, Landschreibwarengeschäfte,
Landlotteriestellen, Land… ach, lassen wir das, Sie wissen schon. Alles hat zu.
Außer Tengelmann, Tankstellen, der Ärztenotdienst, Radarkontrollen, Abfluss-
und Kloreiniger.
    Jedenfalls gut, dass Hadi heute hier war und die Sache beobachtete.
Der Mittwochnachmittag fiel als großer Tag des Überfalls also schon mal flach.
Doch was soll’s. Leute bevölkern ein Trachtengeschäft schließlich nicht nur
mittwochs. Eigentlich hatte er genug gesehen. Sollte er undercover angreifen
und fragen: »Wann ist Ihr bester Geschäftstag?« Montag? Donnerstag? Samstag? In
der Vorweihnachtszeit spielen sie doch alle verrückt, egal wann. Aber Samstag
wäre wohl nicht schlecht. Samstag ist um diese Jahreszeit der Shoppingtag
schlechthin.
    Für Kriminelle sind die Adventstage eh ein gefundenes Fressen.
Ladendiebstahl geht im Gedränge einfacher, die Autos auf den Parkplätzen sind
vollgepackt mit Geschenken. Wer gern früh aufsteht, kann sich an den
Geldscheinen bereichern, welche die Gutmenschen in Kuverts stecken und an den
Briefkasten hängen. Eigentlich sind sie als Belohnung für den Postboten und die
Zeitungsträgerin bestimmt. Aber wenn man von der schnellen Truppe ist, kann
man auch die Beute der Diebe klauen, während sie den Wagen entladen.
    Gedanken dieser Art vagabundierten durch Hadis Gehirn, während er
staunend die Rollläden heruntersausen sah, weil jetzt Mittwochmittag war. Er
hob einen Mundwinkel zu einem überlegenen Lächeln. Wie gut doch seine Idee war!
Er fühlte sich auf der richtigen Fährte. An einem Samstag sollte es
stattfinden. Am Samstag der übernächsten Woche.
    Von Tag zu Tag versanken das Dorf, die Stadt, ja das gesamte
Rosenheimer Land immer mehr in Vorweihnachtsstimmung. Der Verkehr staute sich
in den Straßen, Kleinkinder plärrten, reihenweise fielen Menschen in Ohnmacht
oder brachen unter der Last der Tragetüten
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