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Sag Mami Good bye - Fielding, J: Sag Mami Good bye - Kiss Mommy Good Bye

Titel: Sag Mami Good bye - Fielding, J: Sag Mami Good bye - Kiss Mommy Good Bye
Autoren: Joy Fielding
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Mrs. Victor Cressy? Nun, die war wohl in der Tat unzurechnungsfähig gewesen.
    Ihre Gedanken gingen zurück in jene Zeit, als das Wort Hölle für sie mehr geworden war als ein abstrakter Begriff. Etwa sechsundzwanzig mochte sie damals gewesen sein, alleinstehend, ihre Freiheit und Selbständigkeit genießend. Sie hatte viele Verabredungen, mal mit diesem, mal mit jenem. Eine Gruppe von Kollegen bei der McFaddon-Werbeagentur beschloß, am 4. Juli, dem Unabhängigkeitstag, zu einem gemeinsamen Wochenende in ein Haus in Meeresnähe zu fahren. Es gehörte den Eltern eines Angestellten, die den Sommer weiter nördlich verbrachten; sie war mit von der Partie und genoß die Sache sehr – bis sie dann zum Küchendienst abbeordert wurde. Von Mitternacht bis zwei Uhr früh war sie mit Geschirrspülen beschäftigt – die Geschirrspülmaschine hatte beschlossen, übers Wochenende gleichfalls zu »feiern«.
    Sie spülte und spülte. Im heißen Wasser und in der Seifenlauge schienen ihre Hände buchstäblich zu schrumpfen; und jedesmal, wenn sie endlich fertig zu sein glaubte, erschien prompt wieder jemand mit einer Ladung Geschirr. Unwillkürlich mußte sie an ein Buch denken, das sie auf dem College gelesen und nie wieder vergessen hatte, Albert Camus’ »Der Mythos von Sisyphos«. Der uralten griechischen Sage zufolge hatte Sisyphos die Götter erzürnt (an die Gründe konnte sie sich nicht mehr erinnern), und zur Strafe mußte er einen riesigen, ungeheuer schweren Felsbrocken bis in alle Ewigkeit zu einem Berggipfel emporrollen, von wo dieser dann prompt wieder in die Tiefe stürzte.
    Camus hatte eine scheinbar absurde Frage gestellt: War Sisyphos glücklich? Seine Schlußfolgerung, noch absurder wirkend, lautete: Ja, Sisyphos war in der Tat glücklich, weil er im voraus
wußte, daß das Felsstück seinen Bestimmungsort nie wirklich würde erreichen können. Er wußte um die Vergeblichkeit seines Tuns; wußte, daß es keine Hoffnung auf ein Gelingen gab. Und indem er alle Hoffnung fahrenließ, gewann er seine Erlösung: weil er sein Schicksal kannte und akzeptierte, wurde er ihm überlegen.
    Während sie über die These des Existenzphilosophen nachgrübelte, die Hände im Spülbecken, die Arme voll Seifenschaum, kam ihr dieser Gedanke: Wenn es für jeden Menschen seine eigene und besondere Hölle gab, dann bestand diese Hölle für sie zweifellos in ewigem Küchendienst.
    Es war alles andere als eine komische Vorstellung. Vielmehr erschien ihr der Gedanke, bis in alle Ewigkeit Geschirr spülen zu müssen (kaum glaubte sie, fertig zu sein, brachte wieder jemand eine Ladung Teller), absolut grauenhaft. Was keine Sonntagspredigt je bei ihr bewirkt hatte, ergab sich jetzt ganz automatisch: eine Ahnung von der Hölle. Und zum erstenmal in ihrem Leben fürchtete sich Donna Cressy vor dem Tod.
    Jetzt, in diesem so kahl wirkenden Gerichtssaal sitzend, hörte sie zu, wie sie beschrieben, wie sie charakterisiert wurde – absolut korrekt, jedenfalls dem äußeren Anschein nach: als vom Putzteufel besessene Frau, die mitten in der Nacht aufstand, um Geschirr zu spülen; und das zu allem Überfluß, obwohl die Geschirrspülmaschine einwandfrei in Ordnung war.
    Tat so etwas eine Frau, die sich und ihr Leben noch unter Kontrolle hatte? Würde eine Frau, die wirklich noch sie selbst war, sich dauernd die Haare umfärben – zwar nicht in allen Regenbogenfarben, aber doch so ziemlich in sämtlichen Tönungen, die man bei Hollywood-Schauspielerinnen fand, von Gloria Steinam über Lana Turner, Lucille Ball und Dorothy Lamour bis zu Mia Farrow? Schien sie nicht, auf diese Weise, gleichsam in andere Persönlichkeiten hineinschlüpfen zu wollen? Konnte man der Obhut einer solchen Frau die Erziehung zweier kleiner
Kinder anvertrauen, die unter ihren naturfarbenen Haaren zweifellos einen völlig normalen Verstand besaßen?
    Nun, nach allem, was ihr hier bisher zu Ohren gekommen war – hier im Gerichtssaal -, schien dergleichen überhaupt nicht zu verantworten. Und dies, sie wußte es, war kaum erst der Anfang. Noch hatte niemand von Mel gesprochen, von ihren außerehelichen Beziehungen. Auch war, zumindest detailliert, noch nicht von den Kindern die Rede gewesen.
    Victor war der erste Zeuge, der seine Aussagen machte. Eine ganze Reihe weiterer Zeugen würden noch folgen – samt und sonders bereit, sie zu verdammen oder jedenfalls zu bemitleiden. Sie hatte nur sich selbst. Wieder einmal mußte sie unwillkürlich lächeln: Aus welchem Grunde
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