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SÄURE

SÄURE

Titel: SÄURE
Autoren: Jonathan Kellerman
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hypnotisiert inne.
    Eine spontane hypnotische Induktion? - Sie wäre nicht ungewöhnlich bei Kindern ihres Alters: Kleine Kinder, insbesondere intelligente, überschreiten schnell die Grenze zwischen Wirklichkeit und Phantasie.
    Ihre Hände fielen auf den Schoß zurück und begannen wieder heftig miteinander zu spielen, wobei ihr Gesichtsausdruck bewegungslos blieb. Sie schwieg nach wie vor.
    Ich bohrte weiter: »Der Einbrecher trägt einen großen Hut und einen langen Mantel.« Unwillkürlich hatte ich langsamer und mit tiefer Stimme gesprochen.
    Sie antwortete nicht.
    »Sonst noch etwas?« fragte ich leise.
    Sie blieb stumm.
    Ich folgte meiner Intuition. Nach so vielen Dreiviertelstunden dieser Art fiel mir das nicht schwer.
    »Er hat noch etwas anderes außer einem Hut und einem Mantel, stimmt’s, Melissa? Trägt er etwas in der Hand?«
    »Sack«, kam es kaum hörbar.
    Ich sagte: »Ja, der Einbrecher trägt einen Sack. Wofür?«
    Keine Antwort.
    »Um Sachen reinzutun?«
    Sie riß ihre Augen auf und umklammerte mit den Händen ihre Knie. Sie fing wieder an mit ihrem kleinen Körper immer heftiger hin und her zu schaukeln und hielt dabei den Kopf vollkommen steif, als ob ihr Hals keine Wirbel hätte.
    Ich beugte mich vor und berührte ihre knöchrige Schulter.
    »Möchtest du darüber sprechen, was in diesen Sack hineinkommt, Melissa?«
    Sie schloß die Augen und schaukelte weiter. Sie zitterte und umklammerte ihre Knie. Eine Träne rollte ihre Wange hinunter.
    Ich tätschelte sie wieder, holte ein Papiertaschentuch und trocknete ihr die Augen. Fast rechnete ich damit, daß sie zurückzucken würde, sie tat es aber nicht.
    Diese erste Sitzung war dramatisch und absolut perfekt, aber sie verlief zu schnell. Sie lief Gefahr, die ganze Therapie über den Haufen zu werfen. Ich tupfte noch etwas ihre Tränen ab und suchte nach einem Ausweg.
    Sie unterbrach meine Gedanken mit einem einzigen Wort: »Kinder.«
    »Der Einbrecher steckt Kinder in den Sack?«
    »Hm.«
    »Also ist der Einbrecher in Wirklichkeit ein Mann, der Kinder entführt?«
    Sie schlug die Augen auf, erhob sich, sah mich an und hielt die Hände so aneinander, als ob sie beten wollte. »Er ist ein Mörder«, schrie sie und betonte jedes Wort mit einem Zittern. »Ein Mikoksi mit Säure!«
    »Ein Mikoksi!«
    »Ein Mikoksi mit Säuredasheißtgift! Brennendes Gift! Mikoksi hat es ihr übergeschüttet, und er kommt wieder und verbrennt sie wieder und mich auch!«
    »Wen hat er mit Gift beschüttet, Melissa?«
    »Mutter! Und jetzt kommt er wieder!«
    »Wo ist dieser Mikoksi jetzt?«
    »Im Gefängnis, aber er kommt raus und tut uns wieder weh!«
    »Warum sollte er das tun?«
    »Weil er uns nicht mag! Er mochte Mutter, aber dann mochte er sie nicht mehr, und er schüttete ihr das Gift über und versuchte sie damit umzubringen. Aber es hat ihr nur das Gesicht verbrannt, und sie war immer noch schön und konnte heiraten und mich bekommen!« Sie fing an mit den Händen an den Schläfen vornübergebeugt auf und ab zu gehen, wobei sie wie eine kleine alte Frau vor sich hinmurmelte.
    »Wann ist das alles geschehen, Melissa?«
    »Bevor ich geboren bin.« Sie schaukelte mit dem Gesicht zur Wand hin und her.
    »Hat Jacob dir davon erzählt?«
    Sie nickte.
    »Hat deine Mutter auch mit dir darüber gesprochen?« Sie zögerte, schüttelte dann ihren Kopf: »Sie mag das nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Es macht sie traurig, weil sie früher glücklich und schön war, so daß die Leute Bilder von ihr gemacht haben. Dann hat Mikoksi ihr Gesicht verbrannt, und sie mußte sich operieren lassen.«
    »Hat Mikoksi noch einen anderen Namen, einen Vornamen?«
    Sie drehte sich um und sah mich völlig erstaunt an: »Ich weiß es nicht.«
    »Aber du weißt, daß er im Gefängnis ist?«
    »Ja, aber er kommt raus, und das ist nicht fair und ungerecht!«
    »Wird er bald aus dem Gefängnis entlassen?«
    Sie schien noch mehr verwirrt.
    »Hat Jacob dir gesagt, daß er bald herauskommt?«
    »Nein.«
    »Aber er hat mit dir über Gerechtigkeit geredet?«
    »Ja!«
    »Was ist Gerechtigkeit für dich?«
    »Daß man fair ist!« Sie sah mich herausfordernd an und legte die Hände an die schmalen Hüften. Sie zog die Augenbrauen zusammen, verzog den Mund und rief ihren Finger drohend erhoben aus: »Es ist unfair und dumm! Er hätte es verdient, mit der Säure getötet zu werden.«
    »Du bist sehr wütend auf Mikoksi?«
    Sie warf wieder einen ungläubigen Blick auf diesen Dummkopf im Sessel vor ihr.
    Ich
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