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SÄURE

SÄURE

Titel: SÄURE
Autoren: Jonathan Kellerman
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Stille, die einen entnervte…
    Ich fuhr fort: »Schon allein die Tatsache, daß sie mit dem Krankenhausaufenthalt so gut fertig wird, ist ein gutes Zeichen, Melissa. Sie weiß jetzt, daß sie außer Haus sein kann, ohne verrückt zu werden. So sonderbar es scheint: Die ganze Sache kann sich am Ende therapeutisch auf sie auswirken.
    Was nicht heißen soll, daß es da kein Trauma gegeben hat oder daß es leicht für sie sein wird.«
    »Ja, ich schätze auch«, sagte sie, kaum laut genug, daß man es über dem Wasserfall hören konnte. »Es gibt so vieles, was ich immer noch nicht verstehe. Warum es geschehen ist, woher dieses Böse kommt, was sie getan hat, daß sie das verdient hat? Ich meine, ich weiß, er ist ein Psycho - was die Leute sagen, was er alles getan haben soll…« Sie schauderte. »Suzan sagt, er wird für immer eingesperrt bleiben, schon allein aufgrund dieser Leichen, die sie auf der Ranch gefunden haben. Ich denke, das ist richtig so. Ich könnte den Gedanken an eine Gerichtsverhandlung nicht ertragen, daß Mutter noch so einem Monster gegenüberstehen muß. Aber es kommt mir einfach unangemessen vor. Es sollte mehr sein.«
    »Mehr Strafe?«
    »Ja, er sollte leiden.« Sie wandte sich wieder mir zu. »Sie müßten auch dort sein, nicht? Bei einem Gerichtsverfahren?« Ich nickte.
    »Also sind Sie sicher froh, daß keines stattfindet.«
    »Es ist eine Erfahrung, die ich entbehren kann.«
    »Gut, es ist so am besten. Ich weiß einfach nicht - Was bringt jemanden dazu…«, sie schüttelte den Kopf, sah zum Himmel empor. Dann wieder nach unten, ihre Handbewegungen wurden immer schneller.
    Ich fragte: »Woran denken Sie gerade?«
    »An sie, Ursula. Levine hat mir erzählt, daß sie aus dem Krankenhaus entlassen und wieder nach Boston gegangen ist, zu ihrer Familie zurück. Es ist verrückt, sich vorzustellen, daß sie eine Familie hat, jemanden braucht. Ich habe sie immer als allmächtig gesehen, als eine Art Drachenlady.« Sie zog die Hände auseinander, wischte sie am Gras ab. »Sie hat gestern abend Mutter angerufen, oder Mutter hat sie angerufen, sie sprach gerade mit ihr, als ich ankam. Als ich Mutter ihren Namen nennen hörte, bin ich aus dem Zimmer und hinunter in die Cafeteria gegangen.«
    »Stört es Sie, daß die beiden miteinander reden?«
    »Ich weiß nicht, was sie Mutter überhaupt bieten könnte, sie ist doch selbst ein Opfer.«
    »Vielleicht kann sie ihr ja auch gar nichts bieten«, sagte ich.
    Sie sah mich prüfend an. »Was heißt das?«
    »Daß sie nicht mehr Therapeutin und Patientin sind, heißt doch nicht, daß sie jeglichen Kontakt abbrechen müssen.«
    »Sondern?«
    »Sie können doch Freunde sein.«
    »Freunde?«
    »Stört Sie das?«
    »Nein, es ist nicht - Nein, ich - Ja, ich habe immer noch was gegen sie, und ich mache sie auch für das verantwortlich, was geschehen ist, obwohl sie auch gelitten hat. Sie war Mutters Ärztin, sie hätte sie beschützen müssen - aber das ist nicht fair, was? Sie ist ein Opfer genauso wie Mutter.«
    »Fairness ist nicht das Thema. Sie haben diese Gefühle, und deshalb muß man sich mit ihnen befassen.«
    »Ziemlich viel, mit dem man sich da befassen muß«, sagte sie.
    »Wir haben ja auch viel Zeit.«
    Sie wandte sich wieder dem Wasser zu. »Sie sind so winzig. Man kann sich schwer vorstellen, daß sie fähig sind zu…«, sie griff in den Becher, holte noch ein paar Kügelchen heraus und warf eins nach dem anderen hinein. Sie starrte auf die momentane Kräuselung, die jeder Aufprall auf der Wasseroberfläche verursachte. Schleuderte ihr Haar herum, biß sich auf die Lippe. »Ich war gestern abend im Tankard, um Don ein paar von seinen Sachen aus dem Haus zu bringen. Es waren viele Leute da. Er war ganz mit den Gästen beschäftigt, hat mich nicht gesehen, und ich bin auch nicht geblieben, hab’ nur das Zeugs abgeladen…«, sie zuckte mit den Achseln.
    »Sie sollten nicht versuchen, alles auf einmal zu erledigen«, sagte ich.
    »Ja, aber genau das möchte ich tun, alles erledigen und dann von da an weitermachen. Ihn möchte ich erledigen, das Monster. Ich finde es nicht richtig, daß er den Rest seines Lebens in irgendeinem sauberen, bequemen Krankenhaus verbringen darf. Daß er und Mutter im Grunde in derselben Situation sind , - das ist absurd, nicht wahr?«
    »Er wird drinbleiben, sie wird herauskommen.«
    »Das hoffe ich.«
    »Sie wird herauskommen.«
    »Ich finde es trotzdem nicht fair. Es sollte etwas Endgültiges stattfinden. Das Urteil
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