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Sabihas Lied

Sabihas Lied

Titel: Sabihas Lied
Autoren: Alex Miller
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der Bezeichnung Sfougato veredelte. Dom war klein und untersetzt, mit einer Nase, die ihm in jungen Jahren so oft gebrochen worden war, dass man meinen konnte, ein Elefant hätte sie plattgewalzt. Trotz seines mächtig beleibten Oberkörpers bewegte sich der fast Fünfzigjährige schnell und behände. Er schöpfte den Sfougato in Suppenteller, der riesige Kochtopf stand vor ihm auf dem Gasherd, zu seiner Rechten waren die Teller auf der Marmorablage aufgereiht. Als Dom die große Eisenkelle losließ, fiel sie in den Topf zurück, und die Soße spritzte nur so auf sein weißes Hemd. Er riss den Mund auf, als wäre ihm plötzlich eine wichtige Verabredung eingefallen. Dann brach er auf dem Kachelboden zusammen.
    Das Café, Chez Dom, befand sich in einer kleinen Straße, die damals noch Rue des Esclaves hieß, gegenüber Arnoul Forts Textilgeschäft und neben dem Schreibwarenladen von André und Simone. Wenn man sich vom Café aus nach links wandte und am Schreibwarenladen vorbei zur Ecke lief, den Platz überquerte und am anderen Ende etwa hundert Meter den Hang hinablief, kreuzte man die Eisenbahngleise und gelangte zur Quelle dieses penetranten Geruchs, der damals die ganze Gegend durchwehte: die großen Abattoirs von Vaugirard. Für die Einheimischen bedeutete der unverwechselbare Schlachthofgestank Arbeit und Heimstatt. An manchen Tagen machte er sich stärker bemerkbar als an anderen, und es gab sogar Momente, an denen man ihn kaum wahrnahm. Doch wie das Wetter war auch der Geruch immer da, Tag und Nacht, sommers wie winters. Die schiere Vertrautheit brachte es wie so oft mit sich, dass die Bewohner des Viertels ihn als harmlos empfanden. Es waren lediglich die Neuankömmlinge, die die Nase rümpften.
    Die rotkarierten Vorhänge, die Doms Frau Houria an der unteren Hälfte des Caféfensters angebracht hatte, waren immer aufgezogen, um das Tageslicht ungehindert in den bescheiden eingerichteten Speiseraum dringen zu lassen und den Gästen freie Sicht auf das Straßengeschehen zu gewähren. Links neben dem Eingang befand sich ein schlichter Tresen aus lackiertem Bauholz, dahinter sorgte Houria für den nötigen Nachschub an Brot, Wein und Kaffee. Fensterrahmen und Türverkleidung waren aus Holz und grün gestrichen, während die Wände in einem unaufdringlichen, verblassten Altrosa gehalten waren, das an die Unterseite eines frisch gepflückten Pilzes erinnerte. Houria versah die sechs Tische stets mit sauberen rot- oder grünkarierten Decken. Und je nach Jahreszeit stand in einem grünen Keramikkrug ein üppiger Strauß aus gelben Margeriten oder rostroten Chrysanthemen an dem der Tür zugewandten Ende des Tresens. Der einzige Hinweis auf das Café waren eher stümperhaft gemalte rote Buchstaben auf dem Fenster über der Tür. Am anderen Ende des Speiseraums, gegenüber der Eingangstür und rechts vom Tresen, trennte ein Perlenvorhang den Küchenbereich ab, wo Dom Pakos den Kochlöffel schwang. Seine Gäste stammten aus der unmittelbaren Nachbarschaft, viele waren Vorarbeiter in den Schlachthöfen, und alle kannten sich. Es kam so gut wie nie vor, dass ein Fremder sich zum Mittagessen ins Chez Dom verirrte.
    Das Café hatten Dom Pakos und seine tunesische Frau zwanzig Jahre zuvor gegründet, im Winter 1946 , im Chaos der Nachkriegszeit, als ein jeder wieder Fuß zu fassen versuchte. Vor dem Krieg war Dom Handelsseemann gewesen, während des Krieges arbeitete er als Schiffskoch und war nach Kriegsende in Paris gestrandet. Als er die damals achtundzwanzigjährige Houria kennenlernte, reifte in ihm der Entschluss, es als Cafébetreiber zu probieren. Später sollte er stets mit einer Mischung aus Stolz und Verblüffung verkünden, dass sein Leben erst durch Houria einen Sinn bekommen hatte. Als sie einander begegneten, waren sie beide Außenseiter, und mit scharfem Instinkt erkannten beide auf Anhieb, dass sie sich ein Leben lang verbünden würden. Dazu bedurften sie keiner Kinder, ihr Bund war auch so vollendet. Dom und Houria ergänzten sich auf vollkommene Weise.
    Dom hielt sich für einen begnadeten Küchenchef, dabei war er nicht einmal mittelprächtig. Das Café florierte nicht aufgrund seiner Kochkunst, sondern weil er ein dynamischer, fröhlicher Mensch war, der sich mit seinen Gästen wohl fühlte. In seinen Augen waren die Menschen alle gleich: die Guten, die
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