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Sabihas Lied

Sabihas Lied

Titel: Sabihas Lied
Autoren: Alex Miller
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mich. Ich fürchtete, er könnte zu dem Schluss kommen, bereits zu viel preisgegeben zu haben, und sich wieder in Schweigen hüllen. Dabei war ich für ihn der ideale Zuhörer. Das sagte ich ihm auch. Ich war der beste Zuhörer, den er jemals gehabt hatte oder jemals haben würde.
    Mein letzter Roman sollte stets mein letzter Roman bleiben. Ich hatte die Nase voll. »Jetzt reicht’s«, sagte ich zu Clare, als ich ihn beendet hatte. »Keine Romane mehr.« Sie fragte mich, was ich stattdessen tun wollte. »Mich zur Ruhe setzen«, antwortete ich, »das tun andere Leute auch. Sie gehen auf Reisen und machen alles, wozu sie Lust haben, und schlafen sich morgens aus.« Sie sah mich zweifelnd an und sagte: »Willst du dann allen Ernstes bowlen gehen, Dad?« Als nachsichtiger Vater lasse ich ihr diese kleinen Spitzen durchgehen. In der felsenfesten Überzeugung, dass dieses Buch mein letztes war, hatte ich es Der Abschied genannt. Ich hielt das für einen ziemlich unmissverständlichen Fingerzeig an die Kritiker und Interviewpartner, die immerzu nach Metaphern und dem Sinn unseres Schaffens Ausschau halten. Und so wartete ich nur auf deren erstauntes »Das ist also Ihr letztes Buch?«. Ich war bereit, einfach ja zu sagen, um das Ganze hinter mich zu bringen. Aber niemand stellte mir diese Frage. Stattdessen wollten sie wissen: »Ist das autobiografisch?« Ich zitierte Lucian Freud: Alles ist autobiografisch, und alles ist ein Porträt. Leider fassten sie Freuds erhellende kleine Metapher wörtlich auf. Daraufhin begab ich mich nach Venedig, um ein paar Monate in einsamer Melancholie zu schwelgen. Nach meiner Rückkehr wurde mir klar, dass ich gar nicht wusste, wie man nichts tut. Ich hatte es im Lauf meines Lebens nie gelernt und stellte bald fest, dass kein Buch zu schreiben schwerer war, als es doch zu tun. Wie sollte ich nur damit aufhören? Eine Zeit lang unterdrückte ich meine Panik, indem ich beispielsweise unter der Woche zur besten Vormittagszeit die National Gallery besuchte. Ein eher deprimierendes Unterfangen. Dort trieben sich nur Untätige wie ich herum. Ich beobachtete sie, lauter einsame Seelen. Dann lernte ich John Patterner kennen und hatte auf einmal wieder etwas zu tun. Ich konnte zuhören, während er mir seine Geschichte erzählte. Mich interessierte vor allem, wie dieser kummervolle Ausdruck in die Augen seiner schönen Frau gelangt war. Darum hörte ich ihm zu, weil ich das herausfinden wollte.
    Bei sonnigem Wetter setzten wir uns nach draußen, unter die Platanen, die die Straße vor dem Café Paradiso säumen. John rauchte gern. »Ich nehme mir gerade eine Auszeit«, erklärte ich, als er darauf beharrte, mich auf keinen Fall von meiner Arbeit abhalten zu wollen. Er saß eine Weile stumm da, befingerte seine Zigarette, ohne sie anzuzünden, dann richtete er sich auf und erzählte mir von sich, die unangezündete Zigarette immer noch in der Hand, bis er sich ausgesprochen hatte, wir vom Tisch aufstanden und gemeinsam zur Backstube zurückliefen. Erst dann zündete er die Zigarette schließlich an. Ich vermute, er wollte sich das Rauchen abgewöhnen. Ursprünglich stammte er aus einer Farmersfamilie irgendwo an der Südküste von Neusüdwales. Jetzt war er Lehrer, Clare hatte also recht gehabt, er unterrichtete Englisch als Zweitsprache an der hiesigen Fachoberschule. Die Mädchen und Jungen kamen größtenteils aus Familien, bei denen zu Hause kein Englisch gesprochen wurde, in dieser Gegend machen sie etwa die Hälfte der Bevölkerung aus. Zwar sprach er sehr anerkennend über seine Schüler, aber ich hatte den Eindruck, dass ihn die Arbeit nicht zufriedenstellte. So sehr er Frau und Tochter liebte, so sehr genoss er es, sich in ein Buch zu versenken. Ich erkannte in ihm einen leidenschaftlichen Leser.
    Doch nun zu seiner Geschichte. Mir sollte bald klar werden, dass es sich dabei gewissermaßen um eine Beichte handelte. Aber gilt das nicht für alle Geschichten? Entspringt unser Bedürfnis, Geschichten zu erzählen, nicht immer aus unserer tiefen Sehnsucht nach Vergebung?

D om Pakos war in seiner engen Küche hinten im Café zugange, wo er wie jeden Mittwoch das Mittagsgericht aus zerkochtem, zähem Rindsgulasch von den benachbarten Abbattoirs , vermischt mit ein paar Dutzend gekochten Zucchini und einer Prise Gewürz, zubereitete, ein Gericht, das er mit
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