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Saat der Lüge

Saat der Lüge

Titel: Saat der Lüge
Autoren: B Jones
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Küche aufsuchten, um stapelweise Toast zu machen.
    Als wir danach am Abtropfbrett lehnten und ich schon langsam schläfrig wurde, knuffte mich Cora in die Rippen und fragte: »Sag schon, was hältst du von Stevie?«
    In meinem Wodkanebel lallte ich so etwas wie: »Also, Spaß haben kann man mit dem auf jeden Fall.«
    »Und?«, bohrte Cora weiter, die ihre Ungeduld kaum verbergen konnte. »Was noch?«
    »Er ist sehr höflich?«, bot ich an. Ich war nicht in der Stimmung, mich von ihr ausfragen zu lassen, und stocherte mit dem Messer im Toaster herum, damit das schwarz werdende Brot herauskam, obwohl mich Cora ständig ermahnte, das nicht zu tun.
    »Jetzt komm schon, Lizzy!«, rief sie mit gespielter Verzweiflung und lachte. »Hat er dich gefragt, ob du mit ihm ausgehen willst? Das war nämlich unsere Vermutung. Als Michael und ich uns verzogen haben, dachte ich, jetzt fragt er dich.«
    Sie grinste, und mir fiel wieder einmal auf, dass sie Mike grundsätzlich Michael nannte. Die ganze Sache war also eine von Coras Verschwörungen. Armer Stevie: Man hatte ihn unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hergelockt und ihm eine neue Freundin versprochen.
    Sie seufzte. »Na ja, Michael fand die Idee nicht so gut. Er meinte, wir könnten nicht einfach so Leute zusammenstecken, weil das peinlich wäre und so. Aber ihr seid beide unsere Freunde, und du bist so hübsch, und Stevie ist Single, und weil er so nett ist, dachte ich, ihr würdet gut zusammenpassen. Dann wären wir ein echtes Quartett. Na ja«, druckste sie und drehte sich auf einem Fuß hin und her wie ein kleines Mädchen, während sie Erdnussbutter von einem Messer leckte, »vielleicht änderst du deine Meinung ja noch. Wie lange hast du schon nicht mehr, du weißt schon …?«
    Sie wusste genau, dass ich ihr darauf eine pampige Antwort geben würde, und kam mir deshalb mit einer Handbewegung und einem dreckigen kleinen Lachen zuvor: »Schon gut. Ich will doch nur, dass alle so glücklich sind wie ich und Michael. Das kannst du mir nicht zum Vorwurf machen. Noch einen Wodka?« Sie sagte die Wahrheit. Sie wollte wirklich immer, dass alle anderen glücklich waren.
    Wir gingen also zurück zu den Jungs und gaben uns schnell dem stetig aus der Stereoanlage fließenden Trost hin, verloren uns in Alkohol, Gelächter, Geschichten und Versprechungen, bis uns der Schlaf übermannte. Da waren wir, in unserer endgültigen, fertigen Form: Freunde.
    Es folgten unzählige Nächte wie diese, sie schienen sich ein ganzes Leben lang hinzuziehen. Wir waren erfüllt voneinander, erfüllt von Sinneseindrücken – schrieben wir doch zum ersten Mal unsere eigene Geschichte und erfanden uns in ihrem Verlauf selbst, definierten uns, schrieben uns um und entwarfen uns neu, in den eigenen Augen und denen der anderen.
    Wir waren davon überzeugt, dass wir immer so frei sein würden und dass uns niemand auf etwas festnageln konnte, stets auf dem Sprung wie Scheinwerfer auf der Tanzfläche oder Sonnenlicht in den Baumkronen. So hüpften wir übers kaputte Kopfsteinpflaster des Bürgersteigs, immer unterwegs, beladen mit Büchern und Zynismus, ein Kaffee auf dem Weg irgendwohin, ein paar Drinks auf dem Weg überallhin, schillernd vor lauter Jugend. Wir strahlten Selbstvertrauen und Optimismus aus, und wir warteten.
    Wenn wir nachts schlaftrunken aufwachten und unseren Nachbarn lauschten, die um drei Uhr morgens nach Hause kamen, ihre Schuhe wegkickten und die Stereoanlage aufdrehten, dann lullten uns die Bässe sofort wieder in den Schlaf, und auch das war unserer Jugend zuzuschreiben. Schließlich machten wir uns selbst oft genug mit lautem Gelächter, plätschernden Geräuschen oder zu Bruch gehenden Gläsern bemerkbar.
    Im Licht der Straßenlaternen, das durch die Ritzen im Vorhang hereinschlüpfte, lagen wir eingemummelt da und lauschten friedlich. Es gab nicht viel, das uns den Schlaf raubte, nicht weil unser Gewissen rein war, sondern weil wir vor lauter Leben ganz erschöpft waren.
    Denn wir arbeiteten hart, verschanzten uns jedes Semester aufs Neue hinter einem Stapel Bücher am Schreib- oder Küchentisch, während draußen die Sonne brannte oder der Regen beruhigend ans Fenster trommelte. Wir brauchten gute Noten. Ein Abschluss kostete und brachte Geld.
    Und dabei glaubten wir die ganze Zeit, dass das noch nicht die beste Zeit unseres Lebens gewesen sein konnte. Erst danach würde das Leben beginnen, »das richtige Leben«, wie meine Eltern es ausgedrückt hätten. Das anständige,
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