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Russisches Poker

Russisches Poker

Titel: Russisches Poker
Autoren: B Akunin
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eigentlich hört niemand einem anderen richtig zu – erstaunlich. Dabei kann man so viel Wichtiges und Interessantes erfahren, wenn man nur zuzuhören versteht!
    Richtig zuhören, das ist eine Kunst eigener Art.
    Man muß sich vorstellen, ein leeres Fläschchen zu sein, ein durchsichtiges Gefäß, das durch ein unsichtbares Röhrchen mit dem Gesprächspartner verbunden ist. Dessen Inhalt soll nun tropfenweise in einen übergehen, und so füllt man sich mit Flüssigkeit von derselben Farbe, Temperatur und Zusammensetzung. Man hört für einige Zeit auf, man selbst zu sein, und wird er. Dann versteht man den anderen in seinem ganzen Wesen und weiß schon vorher, was er sagen und tun wird.
    Momus hatte seine Wissenschaft nach und nach gelernt und sie in jungen Jahren bei Kleinigkeiten angewendet, um eines geringen Vorteils willen, vor allem aber, um zu prüfenund zu experimentieren. Im Gymnasium, um eine gute Zensur zu bekommen, ohne die Hausaufgaben gemacht zu haben, später im Kadettenkorps, um sich die Achtung und Freundschaft seiner Kameraden zu erwerben, um Geld geliehen zu bekommen oder die Zuneigung eines Fräuleins zu gewinnen.
    Später, beim Regiment, wurden die Vorteile seiner gefestigten Wissenschaft spürbarer, wenn es etwa galt, einen vermögenden Kameraden beim Kartenspiel auszunehmen; der saß dann friedlich da und war dem netten Kornett Mitja Sawwin nicht weiter gram. Einem so angenehmen Mitspieler sah man auch nicht mehr als nötig auf die Finger. War das schlimm?
    Aber auch das war nur Gymnastik, Fingerübung. Wissenschaft und Talent waren dem späteren Momus zum erstenmal vor sechs Jahren so richtig von Nutzen gewesen, als sich ihm eine wirkliche Chance bot. Damals hatte er noch nicht gewußt, daß man eine Chance nicht abwarten, sondern sich selber schaffen muß. Er hatte immer nur gewartet, bis ihm der Erfolg von allein entgegenkam, und einzig gefürchtet, ihn zu verpassen.
    Er verpaßte ihn nicht.
    Die Aussichten des Kornetts waren dazumal trübe gewesen. Sein Regiment stand schon das zweite Jahr in der Gouvernementsstadt Smolensk, und sämtliche Anwendungsmöglichkeiten für sein Talent waren ausgeschöpft. Er hatte alle beim Spiel ausgeplündert oder angepumpt; die Frau des Obersten liebte ihn zwar von Herzen, rückte gleichwohl kaum Bares heraus und marterte ihn überdies mit ihrerEifersucht. Und dann war ihm mit dem Geld für die Remontierung eine Unvorsichtigkeit passiert: Man hatte ihn auf den Pferdemarkt nach Torshok geschickt, und da ließ er sich hinreißen und verausgabte mehr, als er durfte.
    Nun hielt das Schicksal für ihn drei Möglichkeiten bereit: auf der Anklagebank sitzen, desertieren oder die knochige Tochter des Kaufmanns Potschetschujew heiraten. Die erste Variante schied natürlich aus, und der begabte junge Mann schwankte zwischen der zweiten und der dritten.
    Und da plötzlich spielte Fortuna ihm ein As in die Hände, mit dessen Hilfe er die verlorene Partie retten konnte. Eine weitläufige Tante von ihm, Gutsbesitzerin in der Gegend von Wjatka, vermachte dem Lieblingsneffen ihr Gut. Als Mitja noch Junker war, hatte er einen eintönigen Monat bei ihr verbracht und sich vor lauter Langeweile in seiner Lebenswissenschaft geübt. Danach hatte er überhaupt nicht mehr an die alte Frau gedacht, doch sie hatte das nette Jungchen nicht vergessen. Sämtliche sonstigen Neffen und Nichten übergehend, bedachte sie ihn in ihrem Testament. Das Gut war nicht eben eine Großlatifundie, knapp tausend Deßjatinen, noch dazu in einem Gouvernement, in dem sich Fuchs und Hase gute Nacht sagten, wo ein redlicher Mensch nicht mal für eine Woche hinfuhr.
    Wie würde ein gewöhnlicher kleiner Kornett gehandelt haben, wäre ihm ein solches Glück widerfahren? Er würde Tantes Erbe verkauft, das Loch in der Staatskasse aufgefüllt, einen Teil seiner Schulden beglichen und ansonsten sein bisheriges Leben weitergeführt haben, der Dummbart.
    Was denn sonst? werden Sie fragen.
    Erlauben Sie eine kleine Aufgabe. Sie besitzen ein Gut, das bestenfalls fünfundzwanzig-, na, dreißigtausend wert ist. Ihre Schulden betragen fünfzigtausend. Dabei hassen Sie es, jede Kopeke umzudrehen, Sie möchten mit gutem Gespann ausfahren und in den besten Hotels logieren, kurz, herrlich und in Freuden leben, nicht von einer dicken Obristin ausgehalten werden, sondern sich selber ein Blümchen, eine duftende Tuberose zulegen – mit zärtlichen Äuglein, einer schlanken Taille und einem hellklingenden Lachen.
    Lange
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