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Russisches Poker

Russisches Poker

Titel: Russisches Poker
Autoren: B Akunin
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genug bin ich wie ein Hölzchen im Strom des Lebens geschwommen, dachte Mitja, höchste Zeit, das Schicksal bei seinem Schwanenhals zu packen. Hierbei kam ihm die psychologische Wissenschaft vorzüglich zustatten.
    Er verbrachte in dem hinterwäldlerischen Gouvernement nicht eine oder zwei Wochen, sondern ganze drei Monate, stattete den Nachbarn Visiten ab und machte sie sich gewogen. Mit einem Major im Ruhestand, einem Grobian, trank er Rum und ging er auf Bärenjagd (wobei er tüchtig Angst ausstand). Mit einer sparsamen Kollegienratswitwe kochte er Konfitüre aus Paradiesäpfeln, und er notierte sich ihre Ratschläge für das Ferkeln. Mit dem Kreisadelsmarschall, einem ehemaligen Angehörigen des Pagenkorps, besprach er die Neuigkeiten der großen weiten Welt. Mit dem Friedensrichter ruderte er über den Fluß zum Zigeunerlager.
    Er heimste tüchtige Erfolge ein: erwies sich gleichzeitig als einfacher Junge, als patenter Hauptstädter, ernsthafter Jüngling, Draufgänger, »neuer Mensch«, Verfechter der alten Bräuche und als sicherer Bräutigamsanwärter bei gleich zwei Familien, die einander nicht kannten.
    Als er fand, der Boden sei nun hinreichend gedüngt, zog er das Geschäft in zwei Tagen durch.
    Selbst jetzt noch, Jahre später, da Momus auf ganz andere Sachen stolz sein konnte, ließ er immer wieder mit Vergnügen seine erste richtige »Operation« Revue passieren. Besonders die Episode mit Euripides Kallistratowitsch Kandelaki, der unter den Gutsbesitzern der Gegend als geizig und prozeßsüchtig galt. Es wäre natürlich auch ohne Kandelaki gegangen, aber der junge Mitja mit seiner Spielernatur knackte gern harte Nüsse.
    Der geriebene Grieche war Akzisebeamter im Ruhestand. Die Sympathie eines Menschen seines Schlags kannst du nur auf eine Art und Weise gewinnen – indem du ihn in der Illusion wiegst, sich auf deine Kosten bereichern zu können.
    Der wackere Kornett kam auf schaumbedecktem Roß bei seinem Nachbarn angesprengt, puterrot, Tränen in den Augen, mit flatternden Händen. Noch in der Tür rief er: »Euripides Kallistratowitsch, retten Sie mich! Sie sind meine ganze Hoffnung! Ich komme zu Ihnen wie zur Beichte! Ich bin ins Regiment vorgeladen, zum Auditor! Unterschlagung wird mir vorgeworfen! Zweiundzwanzigtausend!«
    Den Brief vom Regiment gab es tatsächlich, der betraf Mitjas Sünden bei der Remontierung. Den Vorgesetzten war die Geduld gerissen, seine Rücckehr aus dem Urlaub abzuwarten.
    Mitja holte das Schreiben mit dem Regimentssiegel hervor und legte ein weiteres Papier dazu.
    »In einem Monat bekomme ich von der Adelsbank für Grundbesitz ein Darlehen von fünfundzwanzigtausendRubel, dafür habe ich das Gut meiner Tante verpfändet. Ich dachte mir«, sagte er schluchzend und wohl wissend, daß der Grieche nicht zu rühren war, »sowie ich das Geld bekomme, gleiche ich das Defizit aus. Aber nun ist es zu spät! Diese Schmach! Mit bleibt nur eins – eine Kugel in den Kopf! Helfen Sie mir, lieber Euripides Kallistratowitsch! Geben Sie mir die zweiundzwanzigtausend, und ich schreibe Ihnen eine Vollmacht, das Darlehen in Empfang zu nehmen. Ich fahre derweil zu meinem Regiment, rechtfertige mich, rette meine Ehre und mein Leben. Und Sie bekommen in einem Monat von der Bank die fünfundzwanzigtausend. Vorteil für Sie, Rettung für mich! Ich bitte Sie inständig!«
    Kandelaki setzte die Brille auf, las den drohenden Brief vom Regiment, studierte aufmerksam den Darlehensvertrag mit der Bank (auch der war echt, nach allen Regeln aufgesetzt), bewegte die Lippen und bot fünfzehntausend. Sie einigten sich auf neunzehntausend.
    Es muß eine schöne Szene in der Bank gewesen sein, als nach Ablauf eines Monats zum festgesetzten Termin die Besitzer der elf von Mitja ausgestellten Vollmachten dort zusammentrafen.
    Der Gewinn war nicht schlecht, aber Mitja mußte danach natürlich sein Leben grundlegend ändern. Doch zum Teufel mit dem früheren Leben, darum tat es ihm nicht leid.
    Unannehmlichkeiten mit der Polizei fürchtete der ehemalige Kornett nicht. Das Imperium war gottlob groß, Dummköpfe gab es reichlich, und an wohlhabenden Städten war kein Mangel. Ein Mann mit Phantasie und Couragefand jederzeit Gelegenheit zu einem Gaunerstückchen. Der Name, die Papiere, das war Kleinkram. Den Namen und den Stand konnte man sich frei aussuchen.
    Was das Aussehen betraf, so hatte Momus großes Glück. Er liebte sein Gesicht sehr und konnte es im Spiegel stundenlang anschauen.
    Das Haar war von
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