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Russisches Poker

Russisches Poker

Titel: Russisches Poker
Autoren: B Akunin
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bronzenem Rauchabzug, freilich nicht geheizt.
    Der Lakai stieg auf den Bock, und die vier flotten Traber zogen munter an.
    Anissi wurde sanft gewiegt auf dem für edlere Gesäße bestimmten weichen Sitz, und er dachte: Das glaubt mir kein Mensch!
    Herr Fandorin erbrach krachend das Siegel einer Depesche. Er runzelte die hohe reine Stirn. Wie gut er aussieht, dachte Tulpow ohne Neid, mit aufrichtiger Begeisterung und beobachtete verstohlen, wie der Hofrat an seinem Schnurrbärtchen zupfte.
    Sie erreichten binnen fünf Minuten das große Haus in der Twerskaja. Der Schlitten bog nicht nach links zu den Amtsräumen, sondern nach rechts zur Paradeauffahrt und den persönlichen Gemächern des »Großen Fürsten von Moskau«, wie der allmächtige Wladimir Dolgorukoi genannt wurde.
    »Sie müssen schon entschuldigen, Tulpow«, sagte Fandorin schnell, während er den Schlag öffnete, »aber ich kann Sie noch nicht gehen lassen. Nachher schreibe ich ein paar Zeilen für den O-Oberst. Ich will mir nur erst mal das ›Tohuwabohu‹ angucken.«
    Anissi stieg ebenfalls aus und folgte Fandorin in den Marmorpalast, doch hier blieb er schüchtern ein wenig zurück, als er den respektablen Portier mit dem vergoldeten Stab sah. Er hatte schreckliche Angst, gedemütigt zu werden – Herr Fandorin ließ ihn womöglich am Fuß der Treppe zurück wie einen Hund. Aber er überwand seinen Stolz und war bereit, dem Hofrat zu vergeben: Wie konnte der einen Menschen in einem so schäbigen Mäntelchen und mit gebrochenem Mützenschirm mitnehmen in die Gemächer des Generalgouverneurs?
    »Wo bleiben Sie denn?« rief Fandorin und drehte sich auf halber Treppe ungeduldig um. »Nun kommen Sie schon! Sie sehen doch, was das hier für ein Hexenkessel ist.«
    Anissi merkte erst jetzt, daß im Hause des Generalgouverneurs tatsächlich Außergewöhnliches vorging. Auch der würdevolle Portier machte, sah man genauer hin, einen weniger respektablen als vielmehr bestürzten Eindruck. Flinke Männer trugen von draußen Truhen, Körbe und Kisten ins Vestibül, auf denen ausländische Buchstaben zu erkennen waren. Sollte umgezogen werden?
    Anissi holte mit ein paar Sätzen den Hofrat ein und hielt sich von nun an zwei Schritte hinter ihm, dazu mußte er freilich in einen unsoliden Trab verfallen, denn der Hofrat hatte einen forschen Gang.
    Ach, schön war es in der Residenz des Generalgouverneurs! Fast wie in einem Gotteshaus: farbige Säulen (aus Porphyr vielleicht?), Brokatportieren, Statuen griechischer Göttinnen. Und die Kronleuchter! Und die goldgerahmten Bilder! Und das spiegelblanke Intarsienparkett!
    Anissi drehte sich um und sah, daß seine schmählichen Halbstiefel nasse Schmutzspuren auf dem wunderbaren Fußboden hinterließen. O Gott, hoffentlich bemerkte das niemand!
    In einem geräumigen Saal, in dem keine Menschenseele war, aber Sessel längs der Wände standen, sagte der Hofrat: »Sie können sich hier hinsetzen. Und halten Sie derweil die M-Mappe.«
    Er selbst ging auf eine hohe goldverzierte Tür zu, doch die tat sich plötzlich auf. Zuerst drang erregtes Stimmengewirrheraus, dann kamen vier Männer in den Saal: ein stattlicher General, ein lang aufgeschossener, unrussisch aussehender Herr in kariertem Pelerinenmantel, ein hagerer kahlköpfiger Greis mit gewaltigem Backenbart und ein bebrillter Beamter in Ziviluniform.
    In dem General erkannte Anissi den Fürsten Dolgorukoi persönlich, und er nahm erbebend Haltung an.
    Aus der Nähe betrachtet, wirkte Seine Erlaucht nicht so jung und frisch, wie wenn man ihn aus der Menge sah: Das Gesicht zeigte tiefe Falten, die Locken waren unnatürlich üppig, und der lange Schnauzbart und der Backenbart waren gar zu kastanienbraun für seine fünfundsiebzig Jahre.
    »Ah, Erast Petrowitsch, Sie kommen gerade richtig!« dröhnte der Generalgouverneur. »Sein Französisch ist so miserabel, daß man kein Wort versteht, und russisch kann er überhaupt nicht. Sie können doch englisch, also erklären Sie mir, was er von mir will! Wer hat den überhaupt reingelassen? Eine geschlagene Stunde rede ich mit ihm, und alles umsonst!«
    »Euer Hohe Exzellenz, wie sollte ich ihn nicht reinlassen, wenn er ein Lord ist und bei Ihnen aus und ein geht!« piepste der Bebrillte weinerlich und wohl nicht zum erstenmal. »Wie konnte ich wissen …«
    Nun meldete sich auch der Engländer zu Wort; an den neuen Besucher gewandt, schwenkte er empört ein mit vielen Siegeln bedecktes Papier. Fandorin dolmetschte leidenschaftslos:
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