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Russisches Abendmahl

Russisches Abendmahl

Titel: Russisches Abendmahl
Autoren: Brent Ghelfi
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Küche und schrubbt einen gusseisernen Topf, nahe genug, dass ich sie von meinem Stuhl aus anfassen kann.
    »Der Kuchen ist angebrannt«, sagt sie und lässt Wasser in die Spüle laufen. Sie wendet ihr faltiges Gesicht ab, damit ich die Tränen nicht darüber laufen sehe.
    Ich zeige Richtung Hausflur. »Warum?«
    »Das war Swetlana.« Der Seifenschaum steigt ihr bis zu den Ellbogen. Der Topf ist so sauber, dass ihre wütenden Hände nur noch das raue Eisen abschmirgeln. »Sie sagen, sie hätte radioaktive Preiselbeeren verkauft.«
    Tschernobyl hat zu verstrahltem Obst, Kontrolleuren atomar verseuchter Lebensmittel und, seit Neuestem, zur Verhaftung von Babuschkas geführt - alles Teil des alltäglichen Lebens im Moskau des 21. Jahrhunderts.
    »Das tut mir leid, Mascha«, sage ich überflüssigerweise.
    Sie lässt den Kopf hängen. »Sie sollten die Lieferanten verhaften. Nicht eine alte Frau, die Früchte verkauft, um zu überleben.«
    Sie werden Swetlana nicht lange dabehalten. Nur so lange, dass die anderen zahnlosen Großmütterchen, die dasselbe machen, gewarnt sind. Ob Swetlana in der Verfassung ist, die Lektion zu überleben, ist eine andere Frage.
    Mascha trocknet sich die Hände an ihrer Schürze ab, zieht sie über den Kopf, faltet sie sorgfältig zusammen und setzt sich wie üblich aufs Bett. Ihre Hände machen sich zitternd an den Riemen ihrer Prothese zu schaffen. Ich stupse sie sanft zur Seite und kümmere mich darum. Meine Finger kneten ihre Muskeln, um den mir wohlbekannten Schmerz in ihrem Bein zu lindern. Sie senkt die Lider.
    »Nur ein Paar ist noch übrig«, sagt sie rätselhaft.
    Ich erinnere mich, wie sie mir das erste Mal aus der Hand las. Wie viele Leben ist das her? Zwei , hatte sie gesagt. Zwei von jedem . Und jetzt erkenne ich die Wahrheit dahinter. Zwei Brüder - Kamil und Tarik. Zwei falsche Liebespaare - Lipman und Arkadij, Valja und Posnowa. Zwei wundervolle Kunstwerke, vielleicht. Und zwei Könige auf dem Schachbrett, das letzte Paar, das noch da ist - Maxim und der General. Unentschieden.
    Der Geruch von verbranntem Kuchen erfüllt den Raum. Maschas Brust hebt und senkt sich mit den tiefen Atemzügen einer Schlafenden. Ich rücke eine gehäkelte afghanische Decke zurecht, und decke sie bis unters flaumige Kinn zu. Sie atmet immer noch schwer und hält die Augen geschlossen, aber ihre Lippen flattern.
    »Das letzte Paar beherrscht dich«, sagt sie, und dann seufzt sie und versinkt in der klumpigen Behaglichkeit ihrer Matratze.
    Als ich leise die Wohnungstür hinter mir schließe, denke ich, wie wahr ihre Worte sind. Mein Käfig ist so groß, dass die Gitterstäbe unsichtbar sind, aber ich weiß, dass sie da sind, und auch wenn ich sie nicht sehe, bin ich dennoch ein Gefangener.

57
    Später am Abend bringt mich Dubinin zum General. Die einzige Lichtquelle, eine abgeschirmte Lampe auf seinem Tisch, lässt alles außerhalb ihres Lichtkreises seltsam düster erscheinen. Die wuchtigen Augenbrauen überschatten seine Augen wie ein Schleier, sodass nur sein hervorstehendes Kinn zu sehen ist, und die dicken Lippen, die er konzentriert schürzt, während er meinen Bericht liest. Oder nochmals liest, was wahrscheinlicher ist. Der General ist alles andere als unvorbereitet. Falls er enttäuscht ist, dann sieht man es ihm nicht an. Von den Wänden trieft Flusswasser, von der Decke tropft der Ausfluss undichter Rohre, ich denke an meine verlorene Liebe und schlucke einen Kloß in meinem Hals runter. Der General bleibt regungslos wie das künstliche Wesen in Lenins gläsernem Sarkophag.
    Endlich sieht er auf und sagt: »Was ist mit dir und Valja?«
    »Das ist vorbei.«
    Sein Kopf neigt sich Richtung Tisch. Es ist unmöglich zu sagen, was in ihm vorgeht. »Sie war ein Teil von dir«, erklärt er schließlich und gibt damit wieder, was ich denke. »Vielleicht wäre es besser gewesen, du hättest deinen Arm verloren.«
    Ich wechsle das Thema. »Warum haben Sie mir nichts von den Problemen mit Maxim gesagt?«
    »Weil du es nicht wissen musstest. Du solltest tun, was du am besten kannst. Ich habe dein Leben riskiert, so wie ich es seit den ersten Tagen in Tschetschenien immer wieder getan habe. Die Tatsache, dass du noch lebst, ist Beweis genug, dass das Risiko gut kalkuliert war.«
    Zu ahnen, dass man ein Bauernopfer ist, ist eine Sache, aber es so offen zu hören zu bekommen, ist eine ganz andere.
    »Was weißt du über die Kaiserlichen Ostereier?«, fragt er.

58
    Maxim ist einverstanden, sich ein
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