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Russische Freunde

Russische Freunde

Titel: Russische Freunde
Autoren: Barbara Lutz
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hatte das Gefühl, sie zu stören.
    «Was suchen Sie?»
    Ihr leichter Akzent verriet, dass sie aus der Romandie stammte. Ich fand den Argwohn in ihrer Frage seltsam für eine Hotelrezeption. Der Goldschmuck an ihrem Handgelenk klingelte, als sie auf mich zutrat, sie schien in Eile. Sie war elegant gekleidet, die aschblonden Haaren zu einem Helm hochtoupiert. Ein Helm mit Schlagseite nach rechts, stellte ich fest.
    «Sie wünschen?», sie musterte mich misstrauisch. Mir wurde bewusst, dass ich für einen Wanderkurort in den Bergen unpassend angezogen war. Abgesehen davon, dass ich ja selber fror in dem viel zu dünnen Kleid. Ich war überstürzt abgereist und hatte vergessen, dass Leukerbad in den Bergen liegt.
    Wenig später fand ich mich in einem kleinen, schlecht geheizten Fremdenzimmer wieder. Die Dame hatte mir wortlos einen Schlüssel gereicht und war, nach einer knappen Erklärung, dass sich das Zimmer im oberen Stock befand, verschwunden. Nun stand ich neben einem schmalen Bett und hatte Aussicht auf einen regennassen grünen Steilhang hinter dem Haus.
    Als ich einige Zeit später in der Gaststube einen Kaffee trank, war es mir immer noch nicht gelungen, nach Juri zu fragen. Die Serviceangestellte, genauso gestresst und kurzangebunden wie ihre Chefin, war ebenfalls blitzartig verschwunden, kaum hatte sie mich bedient. Im Hintergrund hörte ich Türen gehen und eilige Schritte, Stimmen. Für die Pension schien heute ein besonderer Tag zu sein.
    Bis auf mich war die Wirtschaft leer, der Raum war düster und ungeheizt. Mehr als ein ausgestopftes Murmeltier und eine Vitrine mit Vereinsfotos gab es nicht zu betrachten. Das Tischtuch hatte ein kleines Brandloch, schien also schon vor dem Rauchverbot in Gebrauch gewesen zu sein. Um mir die Zeit zu vertreiben, schnappte ich mir von einem Tisch neben der Theke eine Lokalzeitung. Sie war vier Tage alt.
    Die Eingangstür wurde geräuschvoll aufgestossen. Ein Polizeibeamter betrat den Raum und verschwand nach einem kurzen Klopfen in der Tür neben dem Buffet. Wieder alleine in der Gaststube, sass ich hinter meiner leeren Kaffeetasse. Inzwischen fühlte ich mich steif vor Kälte.
    Endlich kam die Serviceangestellte zurück, begleitet vom Polizisten und der Wirtin. Der Polizist hatte jetzt mehrere Reisetaschen bei sich, die er vor sich auf dem Boden abstellte.
    «Wenn Sie morgen auf den Polizeiposten kommen, werden Sie bestätigen müssen, dass die Gegenstände aus dem Zimmer Ihres Gastes stammen. Und vielleicht haben wir bis dann noch weitere Fragen an Sie», wandte er sich an die Wirtin.
    «Was passiert denn jetzt mit ihm?», fragte sie zurück, begleitet vom nervösen Klingeln ihrer Armbänder.
    «Wir werden versuchen, Angehörige ausfindig zu machen. Wenn alle Ermittlungen und Untersuchungen abgeschlossen sind, wird er vielleicht in seine Heimat überstellt. Oder aber er hat Angehörige in der Schweiz, dann werden die sich um die Beerdigung kümmern. Wir müssen das abklären.»
    Ich starrte auf das Gepäck, das der Beamte vor sich hatte, einen schwarzen Beutel, einen Koffer und eine zitronengelbe Schultertasche. Es war Juris Tasche. Langsam erreichte der Inhalt des Gesprächs mein Hirn. Sie sprachen über Juri. Sie sprachen von einer Beerdigung.
    Der Beamte ging und nahm das Gepäck mit, die Serviceangestellte kam an meinen Tisch. Gelbe Beutel sind Mode, und viele Gäste stammen aus dem Ausland.
    Ich zahlte.
    «Ist etwas passiert hier? Weshalb ist denn die Polizei gekommen?», fragte ich, fast stimmlos.
    «Es ging um die Gegenstände eines Gastes, der nicht mehr hier wohnt.»
    Während der leicht hingeworfenen Antwort entfernte sie sich zum Nebentisch, wo sie ein Blumengedeck in die Tischmitte rückte. Vermutlich war das Personal bereits instruiert worden, sich vor den Gästen nichts anmerken zu lassen. Die Frau war jung, ihre Fingernägel mit einem dunklen, beinahe schwarzen Lack gestrichen. Blonde, etwas künstlich wirkende Locken fielen auf einen glitzernden, beigen Strickpullover.
    «Ist jemand gestorben?», meine Frage klang jetzt ungewollt laut in der leeren Gaststube. Ich musste eine Antwort haben.
    «Ja, ein Gast von uns ist bei einem Badeunfall ums Leben gekommen. Er ist aber nicht hier im Haus gestorben.» Die Antwort kam bereits von hinter dem Buffet, und ich hatte Angst, dass die Frau wieder verschwinden würde.
    «Ein Ausländer?», insistierte ich, etwas leiser, aber sehr deutlich.
    Sie sah mich überrascht über die Theke hinweg an und kam dann, wenn
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