Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Russische Freunde

Russische Freunde

Titel: Russische Freunde
Autoren: Barbara Lutz
Vom Netzwerk:
auch zögernd, an meinen Tisch zurück.
    «Ein junger Russe, er war seit ein paar Tagen unser Gast, starb in einem der Kurbäder, in der Dampfgrotte.»
    «Weshalb denn? Wenn er noch jung war?», brachte ich heraus.
    «Die Polizei geht von einem Herzversagen aus. Er wurde in der Dampfgrotte gefunden. Das heisse Thermalwasser fliesst da direkt hinein, ich kann jetzt nicht sagen mit wie viel Grad, aber sehr heiss, direkt aus dem Berg. Neben dem Thermalwasser soll auch der Dampf sehr gesund sein. Aber für Leute mit Herzproblemen ist die Grotte nicht geeignet.»
    Sie machte eine Pause. Nach einem Blick zur Küchentür fuhr sie fort.
    «Natürlich stehen überall Warnungen, man soll sich nicht zu lange drinnen aufhalten und so. Aber die Badegäste überschätzen sich. Und manche Leute haben einen Herzfehler, von dem sie nichts wissen. Es kam schon ab und zu vor, dass ein Badegast einen Kreislaufkollaps erlitten hat. Das Gefährliche ist, wenn einer ohnmächtig wird. Wenn einer ohnmächtig ins Wasser sinkt und niemand sieht’s, da kann einer schon ertrinken. Das mit dem Ertrinken geht nämlich schnell, zwei bis drei Minuten unter Wasser reichen schon. Die Bademeister sind natürlich auch noch da, aber sie können ja nicht überall sein.»
    Ich wollte das vom Ertrinken nicht hören.
    «Wie hiess denn der Gast?», fragte ich heiser.
    «Salnikow», antwortete sie schnell und beiläufig. Einen Moment lang sah es so aus, als ob sie sich entfernen wollte, aber sie zog unter dem Nebentisch einen Stuhl hervor und setzte sich. Jetzt, wo sie mich, entgegen der Weisung ihrer Chefin, eingeweiht hatte, konnte sie nicht mehr an sich halten. Die Sensation verlangte es, dass man darüber sprach, sie schien ganz belebt vom aussergewöhnlichen Vorfall.
    «Also, etwas ist schon sehr seltsam», fuhr sie weiter, «der Russe ist nämlich mitten in der Nacht gestorben. Nicht während der Öffnungszeiten. Das Bad war schon lange zu. Der Polizist sagt, dass man nicht weiss, wie er um diese Zeit in die Grotte hineinkam. Als der Bademeister am Morgen das Bad öffnete, trieb die Leiche im Wasser, in der abgesperrten Dampfgrotte. Den Bademeister haben sie jetzt festgenommen. Und ich habe gehört, der Russe habe ein Verhältnis mit ihm gehabt. Zwei», sie räusperte sich, «zwei Schwule, Sie verstehen schon. Wenn die beiden nachts im Bad ein Date hatten, das würde natürlich alles erklären. Der Bademeister hat Schlüssel.»
    Sie machte eine Pause nach der süffisanten Neuigkeit.
    «Dieser Bademeister, ein Portugiese, ist immer nur in der Hochsaison hier, und es scheint schon früher Stories gegeben zu haben um ihn. Er arbeitet auch als Masseur.»
    Ich kenne mich in der Welt der Thermalbäder nicht aus, was auch immer sie Masseuren unterstellte, es interessierte mich nicht. Die Frau sprach von Juri, Juri war tot, aber ich schaffte es nicht, das in mein Bewusstsein dringen zu lassen. Die heimatselige Gaststube, die schwarz lackierten Fingernägel der Angestellten, die ganze Pension Cordula widerten mich an.
    Geräusche hinter der Küchentür retteten mich. Die Serviceangestellte sprang auf, schob den Stuhl zurück und verschwand nach einem kurzen Gruss in der Küche. Es gelang mir gerade noch, etwas Trinkgeld auf den Tisch zu legen. Dann flüchtete ich. Ich fand mich oben im kalten Zimmer wieder. Eingewickelt in die Daunendecke, kauerte ich auf dem Boden und biss mich auf den Handballen, um endlich klar denken zu können. Es gelang mir nicht. Plötzlich hatte ich auch Angst. Eine andere Art von Angst, richtig Angst. Was war bloss los? Ich verbrachte ein paar Stunden in einer Starre, in der ich nichts begriff. Das alles war so komisch, so unerwartet, so unlogisch. Irgendwann schlief ich, noch in meinen Kleidern, auf dem Bett ein.

6
    Direkt hinter einer Metalltür mit Glasfenster führte eine enge Treppe über ein paar Stufen hinunter ins Wasser der Dampfgrotte. Das Wasser war beinahe unerträglich heiss, und ich tapste in einen dicken Nebel hinein. Ich war nicht allein im Raum, irgendwo aus dem Dampf heraus flüsterten Stimmen. Mitten im heissen Nebel wurde mir bewusst, dass vor kurzem Juris Leiche in diesem Wasser gelegen hatte. Ich krallte mich an die Felswand, der Tuffstein bröselte unter meinen Fingern. In einem Fluchtreflex schob ich mich zurück zur Stiege und zur Eingangstür. Sie liess sich natürlich problemlos öffnen, und kalte Luft strömte mir entgegen. Allmählich konnte ich schemenhaft erkennen, wo ich mich befand. Ich war in einem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher